Das Regenwaldkomplott
Warte, mein Liebster. Ich komme bald. Es wird nicht lange dauern. Wie wunderbar wäre es, auch jetzt bei dir zu sein. Neben dir, in einem Sarg, so wie wir immer zusammengelegen haben in unserem Bett. Und nebenan, im Flur, drang das Schlagen der Uhr zu uns herein, und wir zählten die Stundenschläge und begriffen erst dann, wie lange wir uns schon liebten und umschlungen hielten. Mein Liebster, warte auf mich.
Mit dem Verstummen der Glocke erloschen auch bei Luise die inneren Bilder.
Ihr Kopf war plötzlich klar, war wie von Staub befreit, und arbeitete wieder. Dieser gelähmte, versteinerte Kopf gebar wieder Gedanken, befahl den Gliedern, sich zu bewegen, gab den Augen den Blick und das Erkennen wieder und ließ sie aufstehen aus ihrem Bett und ans Fenster treten und hinaussehen über den Platz, zum Ufer, zum Fluß und zu der grünen Riesenwand des Regenwaldes. Laut sagte sie, und es war wie ein Schwur: »Tom, du weißt, daß ich immer bei dir bin, daß nichts uns trennen kann, auch nicht der Tod. Und ich weiß, daß du immer bei mir bist, wo du jetzt auch sein magst. Und ich weiß, was du sagen willst: Meine Liebste – sagst du – erfülle dein Leben mit deinen Aufgaben, die man dir gegeben hat. Ich bin ja da, bei dir, neben dir, in dir. Lebe dein Leben weiter. Du weißt es doch: Ich warte auf dich, wenn deine Zeit gekommen ist. Auch wenn du mich nicht mehr siehst, du fühlst mich in dir, du bist in meinem Herzen und in meiner Seele in alle Ewigkeit.«
Sie stand am Fenster, sah die vielen Flugzeuge entlang der Piste, und plötzlich war sie nicht mehr traurig, sondern stolz, daß er so geehrt wurde und daß sie es war, die ihn geliebt und seine Liebe empfangen hatte. So blieb sie stehen, bis die ersten Trauergäste zurück vom Grab kamen. Da schlüpfte sie wieder in das Bett, zog das leichte Leinentuch bis zum Kinn und schloß die Augen, als schlafe sie noch.
Schwester Margarida öffnete die Tür einen Spalt und blickte ins Zimmer.
»Sie schläft«, flüsterte sie Lucia und Ernesto zu, die draußen warteten. »Sie schläft ganz fest.«
»Das ist das Beste, was sie tun kann.« Pater Ernesto legte die Arme um Lucia und Margarida. »Sie schläft sich ins Leben zurück. Morgen schon sieht alles anders aus.«
Schon in der Nacht begann ein neuer Tag.
Als alles schlief, alle Fenster dunkel waren und keine Überraschung mehr möglich war, schlich sich Luise aus dem Haus und ging zu dem mit Kränzen völlig zugedeckten Grab. Sie kniete nieder, wühlte ihre Hände in den Erdhügel und schloß die Augen. Es war, als fühle sie seine Hände, die nach ihr griffen.
»Ich liebe dich«, sagte sie leise und mit einer unendlichen Zärtlichkeit. »Mein Schatz, ich liebe dich und danke dir für alles, was du mir gegeben hast.«
Sie kniete lange am Grab, die Hände noch immer in dem Erdhügel vergraben. Zum Abschied küßte sie die Erde und erhob sich dann.
Erst da sah sie, daß sie nicht die erste gewesen war, die heimlich zum Grab gekommen war.
Oben, auf dem Kranz des Gouverneurs, lagen ein Büschel bunter Kolibrifedern und zwei lange, gekreuzte Pfeile.
Rote Pfeile.
Mit einem Aufschluchzen warf sie sich herum und rannte ins Haus zurück.
Zwei Tage später trafen die beiden Pistoleiros wieder in Surucucu ein. Sie kamen mit einem Flugzeug aus Novo Lapuna. Sie hatten mit niemandem gesprochen und waren sofort abgeflogen.
Sofort gingen sie zu Direktor Rodrigues. Sie waren in freudigster Stimmung. Jetzt gab es die Dollar, und eine Zeit genußvollen Lebens begann. Rodrigues empfing sie mit düsterer Miene. Er saß hinter seinem Schreibtisch und hatte die Schublade vor sich aufgezogen.
»Alles in Ordnung?« fragte er und zog die Augenbrauen zusammen.
»Alles, Senhor.« Der Todesschütze machte mit dem rechten Zeigefinger das Zeichen des Abdrückens. »Mitten ins Herz.«
»Bravo«, sagte Rodrigues. »Das war ein Meisterschuß.«
»Das meine ich auch.«
»Er hat nur einen Fehler.«
»Was?«
»Du hast den Falschen erschossen.«
Ein paar Sekunden lang waren die Pistoleiros wie gelähmt. Sie starrten Rodrigues an, der seine Hand jetzt in der Schublade liegen hatte.
»Das … das ist doch nicht möglich«, stotterte der Schütze. »Fernando Mechia hat doch –«
»Er hat sich auch geirrt. Aber ich irre mich nicht.«
Rodrigues Hand schnellte hoch. Noch bevor die Pistoleiros begriffen, was geschah, bellten zwei Schüsse und trafen jeden von ihnen in die Brust.
Rodrigues legte den Revolver zurück in die Schublade und
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