Das Regenwaldkomplott
Fäuste gegeneinander. »Ich werde mit Pater Vincence darüber sprechen.«
»Was … was willst du tun?«
»Ihre Seele mit Gewalt zurückholen. Sie zwingen, weiterzuleben.«
»Und du wirst es schaffen?«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Ich hoffe es. Ohne Hoffnung ist das Leben nichts wert. Wir alle leben von der Hoffnung.«
Zwischen der Mission Santo Antônio und Boa Vista flogen die Nachrichten hin und her. Wie erwartet hatte Coronel Bilac sofort persönlich den Fall übernommen. Er hatte Dr. Binder nie besonders geschätzt. Vor dem Arzt empfand er Hochachtung, aber den ökologischen Idealisten nannte er einen Idioten. Seine Ermordung aber änderte alles. Jetzt wird man ihn als Helden hochspielen, dachte Bilac. Der Arzt, der Helfer der Ärmsten, der große Humanist – erschossen von den Indianern, denen seine ganze Liebe galt. Das war wie ein Heiligenschein, der von nun an über dem Namen Dr. Thomas Binder schwebte. Ein Märtyrer der Menschenliebe.
Für Bilac war es, entgegen aller Logik, klar, daß nur die Yanomami die Mörder waren. Er hatte Pater Vincences Aussage auf Band aufgenommen und dann abschreiben lassen. Mit diesen Unterlagen vor sich rief er in Manaus seinen Schulfreund Coronel Eugenio Dinis an, den er sofort nach Eingang der Meldung unterrichtet hatte.
»Ich habe jetzt genaue Informationen, Eugenio«, begann Bilac fast triumphierend. »Drei Yanomami haben das Boot der Mission mit der Leiche Dr. Binders und der unter Schock stehenden Luise Herrmann über den Rio Parima gebracht und sind dann durch den Fluß zurückgeschwommen, wo sie im Regenwald verschwanden. Wenn das kein Beweis ist.«
»Aber da sind Unklarheiten, Miguel.«
»Welche?«
»Dr. Binder wurde mit einer Handfeuerwaffe erschossen und nicht mit einem Pfeil.«
»Was sagt das schon? Wir wissen, daß Indianer bei den Goldgräbern und Holzfällern Waffen gegen ihre Mädchen eintauschen.«
»Dr. Binder war ihr Freund, ihr Arzt, oftmals ihr Retter. So jemand tötet man nicht.«
»Wer kann das bei den Wilden wissen? Bist du heute noch ihr Arzt, dem sie blind vertrauen, kannst du morgen nichts weiter sein als ein Weißer, den man töten muß. Das ist es ja, Eugenio, diese Halbaffen sind unberechenbar. Sie sind ein heimtückischer Feind. Aber damit räume ich jetzt auf. Ich habe mit Brasilia und der Zentrale der FUNAI gesprochen. Deshalb rufe ich dich an. Der Mord an Dr. Binder ist kein örtlich begrenztes Verbrechen mehr. Du wirst vom Kriegsministerium den Befehl erhalten, mit deiner Elitetruppe hier in Roraima mit den Indianern aufzuräumen.«
»Davon weiß ich noch nichts«, antwortete Dinis steif. Bilacs Indianerhaß ekelte ihn an. Er ist ein Sadist, das weiß man. Er hat keine Seele und kein Gewissen, wo andere das Herz haben, sitzt bei ihm nur ein Killerinstinkt. »Ist ein Mord nicht ein reiner Polizeifall?« fragte er Bilac.
»Dieser Mord nicht mehr. Er wird zu einem internationalen Fanal.«
»Ob das im Sinne von Dr. Binder ist?«
»Ich kann ihn nicht mehr fragen«, antwortete Bilac zynisch. »Helden werden geboren, oder man macht sie dazu. Wir machen Dr. Binder zum humanitären Helden. Er ist uns jetzt wertvoller denn als Lebender.«
Coronel Dinis legte angewidert auf. Warum tötet man Dr. Binder und läßt Bilac leben, dachte er. Aber vielleicht trifft es ihn, wenn die Jagd auf die Yanomami beginnt, wenn er vorn an der Front ist und nicht hinten in der sicheren Etappe. Bilac ist nur ein Held, solange er der Stärkere und Unangreifbare ist.
Einen Tag nach diesem Gespräch traf der Befehl aus Brasilia bei Coronel Dinis ein. Alarmbereitschaft für die Dschungeltruppen. Weitere Befehle abwarten. Der Countdown zur Vernichtung der Yanomami lief an.
Der Hitze wegen, die einen toten Körper schnell zersetzt, mußte man Thomas schon am Abend des nächsten Tages begraben.
Luise lag noch immer teilnahmslos im Bett und starrte stumm ins Weite. Selbst, als Schwester Lucia bewußt brutal fragte: »Sollen wir Tom auf dem Missionsfriedhof begraben, verbrennen oder in den Fluß werfen?«, bekam sie keine Antwort. Luises Gesicht blieb unbeweglich, nicht ein Zucken deutete an, daß sie die Worte überhaupt wahrgenommen hatte. Es war unmöglich gewesen, ihr etwas zu essen zu geben. Sie öffnete den Mund nicht, er war so verkrampft, daß Schwester Margarida ihn auch nicht mit einem Löffel aufzwingen konnte, um ihr wenigstens etwas Suppe oder Fruchtsaft einzuflößen.
Die Totenwache der Polizei wechselte sich alle zwei Stunden ab.
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