Das Regenwaldkomplott
beschließen?
Yayaomo hatte, was bei den Yanomami vielleicht noch nie vorgekommen war, Pater Ernesto in den Kreis der Pata aufgenommen. Er hockte neben Yayaomo auf dem Boden, hatte zur Feier dieser Stunde, denn eine Patamou ist immer eine Feier, seine weiße Soutane angelegt, und sprach, und auch das war eine einmalige Auszeichnung, als erster.
»Ehrwürdige Pata«, begann er seine Rede. »Ihr alle habt den donnernden Vogel am Himmel gehört und gesehen. Ihr wißt, daß es ein Hubschrauber der Polizei ist, und ihr wißt, daß er über unseren Wald fliegt, um uns zu suchen und zu finden. Ich weiß nicht, ob man uns gesehen hat, aber es wäre falsch, zu sagen: Er hat uns nicht gesehen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, daß man uns angreift.«
»Das heißt Krieg!« erwiderte Häuptling Yayaomo laut. »Sagt ihr alle: Es ist Krieg?«
Die Pata nickten einstimmig. Es brauchte keine langen Diskussionen mehr zwischen den verschiedenen Familiengruppen. Man war sich einig: Wir haben Feinde. Wir müssen uns wehren. Wir haben Krieg.
»Es bleiben uns nur zwei Möglichkeiten.« Pater Ernesto, der die Yanomami-Sprache beherrschte wie seine eigene, empfand in diesen Stunden auch wie ein Yanomami. »Wir können weiterziehen in den Wald und uns irgendwo ein neues Shabono errichten, oder wir können hierbleiben und uns gegen die Angreifer verteidigen. Das soll Patamou entscheiden.«
Die Pata blickten lange auf die Erde, auf der sie saßen. Diese Erde war ihre Heimat, das Shabono und der Wald herum ihre ganze Welt, jede Maloca ein Stück eigenes Leben. Dieser Krieg ging um keine Gebietseroberung, keinen Frauenraub, es war kein Rachefeldzug – es ging ums nackte Überleben.
Nach langem, stummem Nachsinnen hob ein Pata den Kopf.
»Wir brauchen einen Kriegshäuptling«, erklärte er, mehr nicht. Die Entscheidung war damit gefallen.
»Wer soll es sein?« fragte Yayaomo. »Was hat Patamou entschieden?«
»Du!« antwortete der alte Pata, und alle anderen nickten wieder dazu. »Du, der auf den Rat des weißen Pata hören soll.«
Pater Ernesto wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und den schweißnassen Bart. Seine Hände zitterten. Ich, ein Priester, der den Frieden predigt und ›Du sollst nicht töten‹ und ›Liebet eure Feinde‹ – ich führe einen Yanomami-Stamm in den Krieg?!
Ich bitte um Deine Gnade, Herr, und laß mich tun, was ich tun muß.
»Ich nehme den Spruch der Pata an!« antwortete Pater Ernesto laut. »Es ist Krieg.«
Die Pata gingen zurück zu ihren Malocas. Pater Ernesto und Häuptling Yayaomo blieben allein auf dem weiten Shabono zurück.
»Wir brauchen Bögen, Pfeile und Speere«, sagte Yayaomo. »Eine andere Gruppe Krieger wird Giftfrösche fangen. Zum Fluß hin werden wir Späher in die Bäume setzen, zwei Tage von uns entfernt, gute Läufer, die uns rechtzeitig warnen können. Und dann werden wir die Feinde erwarten: auf den Bäumen, in den Büschen, in der Erde. Sie werden unser Shabono nicht erreichen.«
Pater Ernesto nickte. »Der Hinterhalt ist unsere einzige Verteidigung. Wenn sie uns erst entdeckt haben, sind wir verloren. Und wenn ihr hunderttausend Giftpfeile habt, wer soll sie abschießen, wenn ihr von den Maschinenpistolen niedergemäht werdet?«
Er verabschiedete sich von Yayaomo und ging dann hinüber zu den am Waldrand stehenden Zelten, in denen er und Minho mit Sofia wohnten.
Sofia Lobos hatte sich in diesen Wochen völlig verändert. Minho sah es mit Erstaunen, Ergriffenheit und tiefer Liebe. Aus dem verwöhnten, sorglosen, in den Tag hineinlebenden Millionärstöchterchen, das bisher nur von Luxus umgeben war, deren Wink eine Gruppe von Dienern sofort in Bewegung setzte und die auf Partys strahlender Mittelpunkt war, von millionenschweren Männern umschwärmt – aus ihr war eine junge Frau geworden in verschwitzten, geflickten Jeans. Wie die anderen Yanomami-Frauen holte sie aus einem Flüßchen in der Nähe Wasser in großen Kalebassen, fing in Plastikbahnen das tägliche Regenwasser auf, saß am Feuer und kochte Maniok oder briet Fleisch und Fische. Sie wusch die Wäsche wie alle anderen Frauen am Ufer des Flusses, schlug den Schmutz mit großen, runden Steinen aus den Wäschestücken und trocknete sie auf den sonnenheißen Steinen.
Ab und zu begleitete sie Minho auf der Suche nach unbekannten Tieren, sammelte noch nie gesehene Käfer und Insekten, Frösche und Schlangen, Kriechtiere und verschiedene Arten von Wasserratten, kleinen, gefleckten Schweinchen und
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