Das Regenwaldkomplott
Zwergtapiren, neue Arten von Ameisenbären und Tukanen, braunrote Leguane und unbekannte Arten von Wieselkatzen, Nabelschweine und seltsame neue Arten von Gürteltieren.
Am schönsten waren die Abende vor dem Zelt und im Zelt. Da saßen Marco und Sofia zusammen um ihr Feuer, müde von der Arbeit des Tages, aber glücklich, sich zu sehen, zu hören, zu fühlen. Und wenn sie dann im Zelt nebeneinanderlagen, wenn ihre Hände über den Körper des anderen glitten, die Lippen sich ab- und aufwärts tasteten, wenn sie sich umschlangen bis zum frühen Morgen, dann vergaßen sie für eine kurze Zeit alle Strapazen der fremden Welt, in der sie nun lebten.
»Wo nimmst du nur die Kraft her, das alles durchzustehen?« fragte Marco sie einmal. »Du … eine Lobos.«
Und sie antwortete: »Ich liebe dich. Das ist alles. Und sag nicht mehr Lobos, ich bin eine Minho.«
»Sie haben uns entdeckt, nicht wahr?« fragte Minho, als Pater Ernesto vom Patamou zurückkam.
»Es scheint so. Ach was, seien wir ehrlich: Ja, sie haben uns entdeckt. Sie werden kommen, wenn sie nicht schon auf dem Weg sind.«
»Und was werden wir tun, Ernesto?«
»Kämpfen. Diesesmal kämpfen und nicht weiter flüchten. Ich bin zum Berater des Kriegshäuptlings ernannt worden.«
»Du? Du als Priester willst töten?«
»Ja, um mein eigenes Leben zu retten! Ich bin kein Märtyrertyp, ich bin nicht dazu geboren, mich betend ermorden zu lassen. Ich wehre mich!«
»Womit?!«
»Mit List und Gift.«
»Mein Gott –«
»Wir … wir werden sterben?« fragte Sofia mit mühsam fester Stimme.
»Wenn sie uns entdecken und angreifen, ein klares Ja!«
»Ernesto, dann habe ich nur noch einen Wunsch.« Sofia ergriff die Hände des Paters. »Bevor wir sterben, traue uns.«
»Ja.« Auch Minho ergriff Ernestos Hände. »Wenn Gott uns schon sterben läßt, wollen wir als Mann und Frau vor ihn treten.«
Pater Ernesto nickte. »Die Trauung ist morgen. Morgen abend. Zusammen mit dem Totenfest.«
Zwei Tage sammelten die Yanomami die Giftfrösche, die meist oben in den hohen Baumkronen in den Bromelien saßen oder sich in Tümpeln und verfaulten Bäumen versteckten. Es war mühsam, sie zu fangen, weil bei Gefahr ihre Haut das tödliche Gift ausschwitzt. Die Yanomami hatten keine dicken Gummihandschuhe, sie benutzten Bananenblätter, in die sie schnell und geschickt die Frösche einrollten.
Es gibt viele Arten von Pfeilgiftfröschen. Besonders gefährlich sind die rubinrot gefärbten Frösche, deren Hautfarbe schon signalisiert: Finger weg von uns. Es gibt grüngefärbte Arten, blaue, orange und hellgepunktete Frösche, aber der gefährlichste ist ein kleiner, goldgelb schillernder Frosch, dem die Forscher treffend den Artennamen terribilis gaben – ein Nervenlähmungsgift, das sofort, sekundenschnell, wirkt.
Die Yanomami waren fleißig gewesen. Sie hatten eine Menge roter und grüner Giftfrösche gefangen. Eine kleine Gruppe von fünf Kriegern wurde mit Händeklatschen und Geschrei empfangen und von den Frauen mit Gekreische umtanzt: Sie hatten dreißig gelbe, kleine Frösche mitgebracht – den Terribilis.
»Mein Gott«, sagte Minho mehr erschrocken als erfreut zu Pater Ernesto. Natürlich kannte er diesen giftigsten aller Frösche, aller Tiere. »Weißt du, was sie da mitbringen?«
»Ja. Den unentrinnbaren Tod.«
»Den Sekundentod.«
»Er dauert immer noch länger als eine Maschinenpistolengarbe.«
»Eine MP kann man vielleicht überleben, dieses Pfeilgift nie!«
»Wir müssen uns wehren, Marco. Gott hat keine Patronen hergestellt, aber er hat diese Frösche erschaffen. Wehren wir uns mit Gottes Schöpfung.«
»Ihr Priester habt für alles eine Erklärung.« Minho lächelte etwas schief. »Gott sei Dank!«
Noch am selben Abend begann die Gewinnung des Giftes.
Es war Tierquälerei, aber in den Augen der Yanomami ein Mittel, zu überleben.
Die Frösche wurden durch das Maul hindurch auf einen angespitzten Holzstab gespießt, und da auch Frösche Schmerzen spüren, begannen die armen Kreaturen heftig zu schwitzen. Auf dem Rücken bildete sich eine Schweißschicht, die den Körper mit einem weißen Schaum bedeckte – das stärkste Gift der Welt drang aus dem Körper der Terribilis. In einer langen Reihe, Krieger hinter Krieger, warteten die Yanomami, bis sie die Spitzen ihrer Pfeile und Speere mit diesem Gift tränken konnten. Viele rollten ihre Pfeile in dem Giftschaum und streckten dann die Pfeile dem Himmel entgegen. Sie hatten den Tod in der Hand, der ein
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