Das Regenwaldkomplott
an. »Warum nicht?«
»Ihr werdet nicht sterben, und sie werden das Dorf auch nicht erreichen.«
»Bist du so sicher?« fragte Marco.
»Ja. Die besten Schützen werden sich in den Bäumen verstecken. Eine Kugel kann danebengehen, ein Blasrohrpfeil nicht. Und erst recht nicht ein Pfeil von einem Bogen.«
»Du weißt nicht, mit wieviel Mann sie kommen.«
»Und wenn es eine ganze Kompanie ist, die Wolke der Giftpfeile, die auf sie niederregnen wird, überleben sie nicht. Wir werden drei Verteidigungslinien um das Shabono ziehen. Auch wenn einige die beiden ersten Linien durchbrechen, an der dritten kommen sie nicht vorbei. Dort werde auch ich stehen, und ich habe ein Schnellfeuergewehr bei mir.«
Die Yanomami waren mit den Vorbereitungen der Totenfeier fertig. Die große Zeremonie konnte beginnen.
In den vergangenen Wochen waren drei Yanomami gestorben. Zwei Männer und eine Frau, alle an Malaria, obwohl ihnen Pater Ernesto aus der mitgenommenen Medikamentenkiste nicht nur Resochin-Tabletten, sondern auch Resochin-Injektionen gegeben hatte. Sie konnten den völligen Mangel an inneren Abwehrstoffen nicht ersetzen.
Bis zur großen Totenfeier hatten die Yanomami die Toten in große Bananenblätter eingewickelt, so wie man im alten Ägypten die Mumien mit Bändern umschnürte, und hatten sie auf den starken Ästen der hohen Bäume festgebunden. In der feuchtheißen Luft verwesten sie sehr schnell, und als die Yanomami jetzt die Reste aus den Bäumen holten, waren es nur noch Knochen und die Schädel, die in der Hülle aus Bananenblättern übriggeblieben waren.
Xonoyomo, der Medizinmann, begann mit dem Ritual. Die ganze Dorfgemeinschaft war um die drei hohen Holztröge versammelt, neben denen die Knochen lagen. Die Krieger hatten sich geschmückt, trugen Stirnbänder aus einem Palmblattgeflecht und auf dem Kopf eine Art Mütze aus den Flaumfedern einer Geierart. Andere schmückten ihren Kopf mit dem Schwanz der Kapuzineraffen, den sie um Stirn und Hinterkopf wickelten. Dazu trugen sie um die Oberarme auf Fasern aufgezogene Ringe aus ganzen Vogelbälgen und kleine Bambusröhrchen, mit denen sie ihre Nasenflügel durchbohrt hatten.
Furchterregend sah dagegen die Bemalung ihrer Gesichter und Körper aus. Es waren Pflanzenfarben, vor allem Schwarz, Dunkelblau und Rot, mit denen sie große Punkte oder Kreise auf ihre Leiber malten. Kunstvoll wurden die Gesichter gefärbt, meistens blau, in die man dann mit roter Farbe schlangenförmige Linien hineinzeichnete. Die Männer hatten ihre Haare kurz geschnitten in Form einer Tonsur.
Bevor sie ihre Körper bemalten, hatten alle ein Bad genommen. Nun standen sie um die Knochen und Tröge, weinten laut und klagten. Der Pata der Sippe des Toten erzählte von den Heldentaten des Toten, lobte seine Jagdkunst, seine Tapferkeit und Wildheit, seinen Mut und seine Furchtlosigkeit vor Schmerzen und seinen Kampfgeist, mit dem er die Feinde bekämpfte. Bei der toten Frau rühmte man ihre Treue, ihre Sorge um die Kinder und ihren Fleiß auf den Feldern und beim Beerensammeln.
Wie üblich waren die persönlichen Habseligkeiten der Verstorbenen schon am Tage ihres Todes zerstört, verbrannt und zerstampft worden. Nichts sollte mehr von ihnen zurückbleiben. Die Götter hatten sie genommen, und was sie auf Erden zurückließen, würde nun jedem der Sippe gehören. So war ein jeder immer unter ihnen. Er hatte mit dem Tod sein nur geliehenes Leben an die Verwandten zurückgegeben.
Nach den Reden der Pata umtanzte Xonoyomo die drei Holztröge mit den Knochen, flehte die Geister an, beschwor sie, Rache zu nehmen an dem Schuldigen, der den Tod verursacht hatte. Im Glauben der Yanomami ist jeder Tod, auch der durch Krankheit, von einem Fremden verursacht, oft auch durch die bösen Geister selbst.
Der Tanz endete mit einem Schütteln der vergifteten Speere, die alle Männer in den Himmel stießen, um damit die Unheilgeister zu treffen.
Dann wurde es still. Die Frauen mit den schwarz oder dunkelblau bemalten Gesichtern weinten lautlos. Die Pata und ein enger Verwandter des Toten, meist sein Bruder und bei der Frau deren Ehemann, traten an die Holztröge heran, warfen die Knochen und die Schädel in den Trog, ergriffen lange, unten abgeplattete Hölzer und begannen mit ihnen, als seien es Mörser, die Knochen im Trog zu zerstampfen.
Ein gewisser Rhythmus lag in dem Auf und Nieder der Holzstangen. Die Frauen saßen rund um die Tröge und weinten, die Männer in ihrem wundervollen Federschmuck
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