Das Regenwaldkomplott
dann auf dem modernen Flugplatz von Manaus.
»Wo werden Sie wohnen, Luise?« fragte ich und sprach sie mit ihrem Vornamen an. Sie hatte ja auch Tom zu mir gesagt. Sie nahm es mir nicht übel und holte ihr Handgepäck herunter.
»Heute noch im Hotel TROPICAL .«
»Welch ein Zufall, ich auch. Essen wir heute abend zusammen?«
»Nein. Ich werde mich hinlegen, ich bin todmüde.«
Knapp gesagt und ehrlich, ohne viel drum herumzureden. In getrennten Taxis fuhren wir zu dem Luxushotel am Rio Negro. An der Rezeption sah ich, daß sie das Zimmer 110 bekam. Mein Zimmer hatte die Nummer 101. Auf demselben Flur also. Wenn es so etwas wie Schicksal gibt, dann hatte es noch viel mit mir vor.
Ich sah Luise erst am nächsten Morgen wieder – und wieder am Abfertigungsschalter im Airport. Sie ließ sich einchecken für einen Flug nach Boa Vista. Und nach Boa Vista wollte ich auch.
»Was sehe ich da?« sagte ich, nachdem ich unbemerkt hinter ihrem Rücken stand. Sie reagierte wieder genauso wie vor dem Schalter in Brasilia, drehte sich nicht zu mir um, sondern antwortete mit ihrer Samtstimme:
»Schon wieder Sie. Ist das Ihre Masche, sich auf Flughäfen herumzudrücken?«
»Jeder Mensch hat seine Vorlieben. Mich ziehen Airports an. Sie müssen zugeben: Ein harmloses Vergnügen. Luise –?«
»Tom –«
»Was wollen Sie in Boa Vista? Dagegen ist Manaus eine wunderschöne Großstadt. Boa Vista ist der Wilde Westen Brasiliens. Der Umschlagplatz der Goldgräber und Glücksritter. Das Zentrum der Regenwaldvernichtung von Roraima.«
»Und genau dort beginnt meine Arbeit.« Sie nahm ihr Ticket in Empfang und verließ den Schalter. Ich folgte ihr; ich hatte noch genug Zeit, meine Bordkarte zu holen. Das Flugzeug nach Boa Vista flog erst in einer Dreiviertelstunde ab.
»Es ist unverantwortlich«, sagte ich, »eine Frau dorthin zu schicken.«
»Ich gehe freiwillig, nicht auf Anordnung.«
»Sie werden in den Vorhof der Hölle kommen, Luise.«
»Ich weiß.« Sie musterte mich wieder mit ihren herrlichen blauen Augen und strich eine Locke weg, die ihr in die Stirn gefallen war. Ihr blondes Haar hatte einen seidigen Glanz – ich wollte nicht daran denken, wie es in einem Monat aussehen würde. »Und was machen Sie hier auf dem Airport?«
»Halten Sie mich nicht für eine Klette, die an Ihnen klebt. Ich fliege auch nach Boa Vista.«
»Ach nein!«
»Das nennt man Schicksal oder das Glück des Zufalls.«
»Sie wollen sich Boa Vista ansehen?«
»Nein, ich werde dort arbeiten. Nicht direkt in der Stadt, sondern über 300 Kilometer östlich.«
Jetzt lachte sie, ein helleres Lachen als ihre Stimme, und schüttelte dabei den Kopf. Mein Gott, sie sah hinreißend aus. Mein Herz klopfte so laut, daß ich fürchtete, man könne die Schläge hören.
»Gehen Sie als Arzt in eines dieser Goldgräber-Camps?« fragte sie interessiert.
»Nicht direkt, aber ich werde Sie bestimmt öfter in Boa Vista besuchen. Ich habe ab und zu in der Stadt zu tun.«
Ihr Lachen erstarb. Ich glaubte, etwas wie Traurigkeit in ihren Augen zu entdecken. »Das würde mich freuen«, antwortete sie. »Aber das müßte jedesmal ein großer Zufall sein. Ich werde viel unterwegs sein.«
»In den Rodungen des Regenwaldes.«
»Auch. Ich habe ein weitgespanntes Aufgabengebiet.«
Nach einer Stunde – das Flugzeug hatte fünfzehn Minuten Verspätung – lag Manaus wieder unter uns, aber es war schnell verschwunden, denn wir flogen nordwärts, dem Rio Branco entgegen.
Wir saßen jetzt nebeneinander, und das war gut so. Das Flugzeug war besetzt mit abenteuerlichen Gestalten, denen man ansah, daß ihr Ziel die Goldminen östlich und nördlich von Surucucu waren. Sie erinnerten mich an die Fotos vom Goldrausch in Alaska, wo Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls Zehntausende das Land überschwemmten und am Klondyke die berüchtigten Goldgräberstädte entstanden. Städte ohne Gesetz – nur das Recht des Stärkeren, des Skrupelloseren galt. Das Töten war damals eine Selbstverständlichkeit, gehörte zum täglichen Leben, und jetzt begann das Gleiche am Rio Macajai und Rio Parima. Mein Arbeitsplatz.
Die Kerle soffen aus Rum- und Whiskyflaschen, lärmten und grölten und attackierten mit unflätigen Worten vier Frauen, die offensichtlich zum Nachschub der Campbordelle gehörten. In den Goldgräberstädten konnte eine Hure reich werden. Neben Saufen, Prügeln, Radio und Totschlag boten sie die einzige gute Abwechslung in diesem wilden Leben der Claims.
Boa Vista hielt, was
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