Das Regenwaldkomplott
fliegen ja auch nach Manaus.«
»Weil ich muß. Ich trete dort eine Stelle an.«
Sie drehte sich zu mir um, und da traf mich der Blick ihrer blauen Augen, dieser Blick, vor dem man kapitulieren konnte. Eine kurze Musterung meiner Person – ich schien für sie keiner dieser Typen zu sein, die jedes weibliche Wesen mit dummen Reden belästigen. Ihr Blick wurde freundlicher, um ihren Mund – schwungvoll, mit einer volleren Unterlippe, ein sinnlicher Mund? – erschien ein Lächeln. Sie wandte sich wieder zum Schalter um, nahm ihre Platzkarte entgegen und trat zur Seite. Was ich nie gehofft hätte: sie wartete mit ihrem Ticket in der Hand, bis auch ich abgefertigt worden war.
»Danke«, sagte ich. Und es traf mich wie ein Schlag. Du bist verrückt, Tom, dachte ich bei mir. »Wofür?« fragte sie.
»Daß Sie auf mich gewartet haben.«
Sie ging darauf nicht ein, sie blickte wieder auf ihren Flugschein. »Welche Platznummer haben Sie?«
»4 D, Nichtraucher.«
»Ich habe 3 D. Ich sitze eine Reihe vor Ihnen.«
»Wir sollten diesen Zufall loben.« Mein Herz machte ein paar Sprünge, bis sie etwas kühler sagte:
»Ja, es gibt so dumme Zufälle. Sie werden in Manaus arbeiten?«
»So ist es.«
»Bei einer deutschen Firma?«
»Nein. Ich bin Arzt.«
»Ach!« Ihre Augen schienen dunkler zu werden, und ich spürte, daß ihr Interesse an mir erwacht war. Zumindest hoffte ich es.
»Dr. Thomas Binder.« Ich machte eine leichte Verbeugung. »Aus Hannover.«
»Luise Herrmann aus Stuttgart.«
Wir lachten beide, nur kurz, aber es war ein befreiendes Lachen für mich. Ein Lachen ist ein erster Schritt zueinander.
»Und was machen Sie in Manaus?« fragte ich.
»Ich bin Biologin. Vom Deutschen Institut für Umweltschutz und Ökologie.«
»Da haben Sie gerade in Brasilien die besten Arbeitsbedingungen. Was hier am Amazonas an Raubbau betrieben wird, ist eine Weltkatastrophe. Die kontinuierliche Vernichtung des Regenwaldes –«
»Das ist meine Aufgabe«, unterbrach sie mich. »Ich bin so eine Art Beobachter. Ich weiß, ich kann diesen Wahnsinn nicht aufhalten, wer kann das schon, da müßte sich die ganze Welt schon einig sein. Aber ich kann berichten, was hier geschieht, und ein wenig am Gewissen der Welt rütteln.«
Ich nickte. Ich dachte an meine Aufgabe, die eigentlich auch nichts anderes war, nur beschäftigte sie sich nicht mit dem Regenwald, sondern mit den Menschen, die in ihm lebten. Menschen, die es vielleicht im Jahre 2000 nicht mehr geben wird. Ausgerottet wie ihr Lebensraum.
»Das ist ein großer Auftrag«, sagte ich. »Und ein gefährlicher. Sie werden schnell die Regierung, die Großgrundbesitzer, die Fabrikanten und die Spekulanten gegen sich haben. Und deren Feindschaft kann sogar tödlich sein.«
»Dessen bin ich mir bewußt, Herr Binder.«
Ich blickte ihr in die tiefblauen Augen, von neuem schlug mir das Herz bis zum Hals. »Haben Sie keine Angst?«
»Nein.«
»Das wäre viel eher eine Aufgabe für einen Mann.«
»Einen Mann behandelt man härter als eine Frau. Der Mann ist gefährdeter. Bisher sind ausschließlich Männer auf rätselhafte Weise umgekommen – nie eine Frau.«
»Ich würde mich auf diese vage Theorie nicht verlassen.« Und dann sagte ich etwas, was ich eigentlich nicht laut aussprechen wollte: »Wenn Sie mir verraten, wo Sie in Manaus wohnen werden, könnte ich mich um Sie kümmern. Sie kommen in kein Paradies, auch wenn es so aussieht. Bis auf das berühmte Opernhaus und ein paar staatliche Prachtbauten ist Manaus trotz des neuen Holz- und Erzbooms noch immer eine rauhe Stadt.«
»Und trotzdem gehen Sie freiwillig hin?«
»Wo ich die nächsten Jahre leben werde, braucht man einen Arzt. Und außerdem ist eine Portion Abenteuerlust dabei.«
»Sie sehen nicht aus wie ein Abenteurer, Herr Binder.«
»Sagen Sie Thomas zu mir, oder einfach Tom.« Das war ein wenig forsch, ich weiß, und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie wieder diesen kühlen Blick bekommen hätte.
Sie nahm, wie erwartet, keine Notiz von meinem Vorschlag, steckte die Bordkarte in ihre Handtasche und warf einen Blick auf die große Uhr in der Flughalle.
»Noch eine halbe Stunde«, sagte sie.
»Trinken wir einen Kaffee zusammen?«
»Ich muß Ihnen einen Korb geben. Ich will noch telefonieren, daß ich gut in Brasilia angekommen bin. Man wartet auf meinen Anruf.«
»Ein guter Freund?« fragte ich. Plötzlich haßte ich jeden, dem ihre Sympathie galt.
»Man kann es so nennen.« Sie lächelte wieder dabei,
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