Das Regenwaldkomplott
seinen Vater an und sagte mit fester Stimme zu Catarina:
»Es wird ihnen nicht gelingen, Mama.«
»Mein Sohn!« sagte Maputo stolz. Er wandte sich nach Caetano um und rollte das Plakat wieder zusammen. »Er ist mutiger als ihr alle.«
»Auch mit Mut hältst du keine Kugel auf. Hier ist Mut eine Idiotie. Jawohl, eine Idiotie! Julio, du hast ein großes Werk begonnen und mußt es auch zu Ende führen. Willst du ein Märtyrer werden? Uns nützt kein Märtyrer, wir brauchen einen lebenden Maputo! Flieg nach Europa.«
»Nein!« Maputos Stimme klang hart, es war eine unwiderrufliche Entscheidung. »Ich werde fliegen, ja, aber nach Brasilia. Ich werde das Plakat eigenhändig zum Präsidenten bringen.«
»Er kann dich am allerwenigsten schützen.« Caetano fuhr sich mit beiden Händen in die weißen Haare, als wolle er sie einzeln ausrupfen. »Und wenn er sich herabläßt und einen Trupp Soldaten zu uns schickt und unsere Siedlung von der Umwelt abriegelt … wer sagt dir dann, daß nicht ein Soldat unter ihnen ist, der gern hunderttausend Dollar in der Tasche hätte? Hast du vergessen, daß das Militär in Boa Vista am illegalen Waffenhandel mitverdient? Woher haben die Garimpeiros ihre Gewehre und Pistolen? Wer hat ihnen die Maschinenpistolen geliefert und die Munition dazu? Sogar Raketengeschosse sind aufgetaucht! Fällt so was vom Himmel? Ja, es fällt aus dem Himmel, aus den Hubschraubern des Militärs, gut verpackt und geölt. Gibt es in Boa Vista denn noch ein Gesetz? Nur das Gesetz der Gewalt gilt. Ein einziger Richter, Avelino Saramago, spricht Recht. Ein einziger Richter für eine Region, in der jährlich über vierhundert Männer erschossen werden! Und was tut Avelino Saramago? Im letzten Jahr hat er genau zweimal Anklage erhoben. Zweimal! Und da glaubst du noch, man könne dich schützen? Wenn du hierbleibst, bist du schon tot!«
»Zuerst fliege ich nach Brasilia«, wiederholte Maputo bestimmt und legte die Arme um seine weinende Frau. »Mit dieser Morddrohung will ich die Welt wachrütteln!«
Benjamim Bento, kurz BB genannt, bewohnte eine Steinbaracke in Novo Lapuna. Der tote Camilo Ramos hatte sie für ihn bauen lassen, ebenso wie die hölzerne Barackenstadt für seine über zwanzigtausend Minenarbeiter. Die genaue Zahl kannten, wie gesagt, nur Bento und seine Verwaltungsmitglieder, die nach den Listen den Lohn auszahlten. Es war ein ständiger Wechsel: Die einen verließen die Goldgruben, weil die schwere Arbeit ihre Körper zerstörte, neue Arbeiter kamen mit den Flugzeugen aus Boa Vista, andere verschwanden einfach, ganz abgesehen von den paar Toten, die es jeden Monat gab.
Bentos Aufgabe war einfach, mit einem Satz zu beschreiben: Findet Gold, dann geht's euch gut; findet mehr Gold, dann geht's euch besser.
Wer einmal in Novo Lapuna gewesen ist, wird sein Leben lang diesen Anblick nicht vergessen. Die Goldgräberstadt für fast 50.000 Schatzsucher erinnerte an die zu Legenden gewordenen Siedlungen im Wilden Westen, die durch Tausende amerikanische Westernfilme verherrlicht und in noch mehr Romanen beschrieben wurden. Nur einen Unterschied gab es, der Entwicklung angepaßt: Auf drei gepflegten Pisten landeten Tag für Tag die kleinen Flugzeuge aus Boa Vista und brachten alles mit, was eine Stadt mit weit über 50.000 Einwohnern braucht. Nur aus der Luft konnte Novo Lapuna versorgt werden. Die Straße, die zu dem Camp führte, war kaum noch befahrbar. Eine in den Regenwald geschlagene Schneise, vom Regen aufgeweicht, ein Schlammbad, das nur Geländewagen befahren konnten. In der eigentlichen Regenzeit war diese Straße unpassierbar und tot.
Die Stadt mit ihren Baracken und dreckigen Straßen, mit den vier Imbißbuden, einem Supermarkt, einer Disco und sechzig überforderten Huren war nichts Besonderes. Auch der Drugstore der Helena Batalha war keine Sensation, selbst wenn es sich für jeden Drehbuchschreiber gelohnt hätte, einmal ein paar Stunden in ihm zu sitzen.
Das wirklich Unvergeßliche war der Blick auf die Claims, auf die Goldgruben und auf die abgetragenen Berge, in die sich die Garimpeiros eingraben und mit starken Wasserstrahlen die Erde ausschwemmen, in 50-Kilo-Säcke packen und dann die Terrassen heraufschleppen … auf schwankenden Leitern, auf schmalen Pfaden, Tausende von Menschen auf einmal, ein endloser Strom von auf die Schulter gelegten Säcken, ein Gewimmel wie bei einem Termitenvolk. Ein Schreien, Ächzen, Röcheln, das wie eine dicke Wolke über den Gruben liegt. Der Gestank
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