Das Regenwaldkomplott
von einem kleinen Türmchen gekrönt waren, in denen eine armselige Glocke bimmelte. Es klang wie ein Wimmern.
Daß die Kirchen verlassen waren, hatte einen einfachen Grund – wenn man die Garimpeiros kennt und unter ihnen lebt. Vier Priester aus dem sittsamen Süden von Sao Paulo und Rio de Janeiro hatten nach einem Jahr die Nase so voll, daß sie aus der Barackenstadt flüchteten. Einen von ihnen fand man erstochen auf der Straße (er hatte unsinnigerweise gegen Habgier, Unzucht und Unmoral gepredigt). Er wurde durch einen Priester aus Manaus ersetzt, aber den verließ sehr schnell der christliche Mut, als man ihm androhte, daß – wenn er noch einmal gegen die Huren predige – man ihn kastrieren wolle. Die Hauptaufgabe der Priester war neben der sonntäglichen Messe das Segnen und das Fürbittgebet für die Ermordeten, die man, so blutig und verdreckt sie waren, vor die Kirchentüren legte, als seien es Opfergaben. Manchmal mußten sie auch zu den Orten fahren, wo man die Toten gefunden hatte. Einer hing an einem starken Ast, den Kopf nach unten, und war aufgeschlitzt, einem anderen hatte man mit einer Machete den Schädel gespalten, aber die meisten waren erschossen oder erstochen worden, vornehmlich an den Tagen, wenn die Garimpeiros ihren Lohn und ihren Anteil an Goldstaub bekamen. Münzen und Scheine waren wertlos. Brasilien hatte eine Inflation von 1.000 Prozent, es galt nur das Gold – ein Gramm etwa für eine Flasche cachaça , Zuckerrohrschnaps.
Benjamim Bento gab sein Zögern auf und betrat den ›Daumen‹. Hinter den Theken standen kräftige Kerle, meist Mischlinge oder muskulöse Neger, bei denen es sich jeder überlegte, viel Lärm zu machen. Wer schon besoffen hereinkam und noch immer nach Schnaps schrie, bekam eine rechte Gerade auf die Nuß, was bisher keiner so einfach weggesteckt hatte. Dafür gingen Mama Helenas Neger abends auch schwerbewaffnet zu den Quartieren, und niemals allein – eine Dreiergruppe war das mindeste. Auch ein Mädchen arbeitete als Verkäuferin bei Helena Batalha, die süße blonde Leonor, zweiundzwanzig Jahre jung, für die kinderlose Helena eine Art Ersatztochter – aber das ist ein Kapitel für sich.
Bento betrat also das ›Kaufhaus‹ und sah Helena von drei Garimpeiros umringt, die auf sie einredeten. Einer der hünenhaften Neger stand schon lauernd in Bereitschaft, um einzuspringen, wenn Mama Helena mit den Burschen nicht mehr allein fertig würde.
Das ›Mama‹ für Helena Batalha war keine Bezeichnung ihres Alters, sondern ein Ausdruck größter Ehrfurcht und versteckter Zärtlichkeit. Sie war erst sechsundvierzig Jahre alt, zwei Jahre jünger als Benjamim Bento, eine schöne Frau mit schwarzen Locken, Augen voller Glut, langen, rassigen Beinen und einem Busen, der jeden zweimal hinschauen ließ. Wenn sie in ihren eng anliegenden Baumwollkleidern, unter denen sich jede Rundung ihres Körpers abzeichnete, durch ihren Drugstore ging, auf Schuhen mit hohen Absätzen, die ihre Beine endlos lang machten, rollten die Goldwäscher mit den Augen und wären bereit gewesen, Gold aus der Ausbeute von einem halben Jahr Knochenarbeit herzugeben, um mit ihr ins Bett zu steigen.
Im Laufe der eineinhalb Jahre, nachdem sie in Novo Lapuna mit einer kleinen Transportmaschine gelandet war, zusammen mit der bezaubernden Leonor und zwölf Kisten Material, den Drugstore eröffnete und die ausgestreckten Daumen malen ließ, hatte man viermal versucht, sie zu vergewaltigen. Die Folgen waren vier Tote, jeder mit einem Schuß in den Schwanz – sie mußten qualvoll gestorben sein. So etwas sprach sich im Camp sehr schnell herum, der oder die Täter blieben unbekannt, man munkelte sogar, es sei Helena selbst gewesen, die eigenhändig zwischen die Beine gefeuert habe. Von da ab war Ruhe, der Name ›Mama‹ kam auf, auch eine Art Schutz, denn wer legt schon seine Mutter aufs Kreuz?
Ein Rätsel blieb, ob Helena Batalha verheiratet gewesen war, bevor sie nach Novo Lapuna kam, oder ob sie von Männern nichts hielt. Jedenfalls hatte man bisher noch nie einen Mann aus ihrem Haus schleichen sehen. Es wäre auch schlecht zu verbergen gewesen, denn Novo Lapuna war eine Stadt, die nie schlief, wo Tag und Nacht Leben auf den Straßen war, vor allem auf den Boulevards, wie die Garimpeiros spöttisch die breiteren Straßen nannten.
Helena machte eine Handbewegung, als wollte sie einen Schwarm Fliegen verscheuchen, und schnitt damit das Gerede der drei Garimpeiros ab. »Also gut!« sagte sie
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