Das Regenwaldkomplott
wohnen, bei Manaus, hat man 60 verschiedene Fische gezählt. Es soll Tausende unbekannter Insektenarten geben, Frösche, Lurche, Ameisen, Käfer, Spinnen –«
»O Himmel, Spinnen! Ich ekele mich vor ihnen, allein das Wort genügt.« Sie lehnte sich an ihn, und Minho tat das einzige, was ein Mann in einer solchen Situation tun konnte: Er legte seinen Arm um ihre Schulter. »Können Sie Spinnen anfassen, Marco?«
»Ich habe dafür Spezialgeräte. Kleine Zangen, Pinzetten.«
»Und wenn sie giftig sind?«
»Ich habe ein Betäubungsspray, das sie für eine Weile ungefährlich macht.«
»Haben Sie keine Angst?«
»Nein.«
»Sie haben vor nichts Angst?«
»Das gefährlichste Lebewesen auf der Erde ist der Mensch.«
»Bin ich gefährlich?«
Minho zögerte. War sie einfach naiv, oder forderte sie ihn zu einem Flirt heraus? Die schwüle Wärme der Nacht, der Duft aus den Blumenbeeten, der glitzernde Sternenhimmel, die Musik aus der Villa, der schwache Widerschein der Lampen auf der Terrasse, der sich in ihren Augen spiegelte – es war jene unwiderstehliche Stimmung, in der man sich verliebte, auch wenn es völlig sinnlos war. Sofia hatte den Kopf gegen Minhos Schulter gelehnt und schien auf seine Antwort zu warten.
»Ja«, sagte er und ärgerte sich, daß er es mit gedämpfter Stimme sagte. »Ja, Sie könnten gefährlich werden.«
»Ich beiße nicht, ich verspritze kein Gift, ich habe keine Krallen – und trotzdem bin ich für Sie gefährlich?«
»Ja.«
»Warum?«
»Sie sind das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Aber das haben Sie ja schon so oft gehört. Und Schönheit kann gefährlich werden.«
»Inwiefern?« Sie hob etwas den Kopf, um Minho anzusehen. »Sie sind auch nicht häßlich, Marco. Können Sie auch gefährlich werden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hat Ihnen das noch nie eine Frau gesagt?«
»Nein.«
»Aber gezeigt.«
»Erwarten Sie darauf eine Antwort?«
»Ja.«
»Ich könnte Ihnen die gleiche Frage stellen, Senhorita Sofia.«
»Und ich werde sie ehrlich beantworten: Ich hatte einen Freund, damals war ich siebzehn Jahre und besuchte das Lyceum. Ich war keine gute Schülerin, aber sehr verliebt. Die Liebe hielt ein Jahr, und irgendwie, ich weiß nicht, wieso, ging sie zu Bruch. Jetzt bin ich einundzwanzig, und es war meine einzige Liebe.« Sie nahm den Kopf von seiner Schulter und blickte ihn voll an. »Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich alles?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Minho mit plötzlich belegter Stimme.
»Und Sie? Sie hatten viele Mädchen, nicht wahr?«
Viele, dachte er? Nein, ich war bei Frauen nie ein Draufgänger. Es gab da einige Flirts, natürlich, aber eine richtige Liebe, die Bestand hatte, nein, die war nie dabei. Zuletzt war es Rita, die Tochter eines Professors am Institut, ein leidenschaftliches Mädchen, das nachts zu mir ins Zimmer schlich.
Bis ich dann entdeckte, daß ich nur der gegenwärtig letzte in einer langen Reihe von Liebhabern war. Zugegeben, es war eine bittere Enttäuschung gewesen, ich habe einige Zeit sehr darunter gelitten, aber die große Liebe war sie nie gewesen. Viele Frauen? Nein, Sofia.
»Nicht viele«, sagte er und blickte in die Goldpunkte ihrer Augen. »Ein paar Liebschaften ohne Tiefgang.«
»Und … ich könnte gefährlich werden?« Sie legte beide Hände auf seine Schultern. »So, wie Sie gefährlich werden können?«
»Ja.«
Er nahm ihre rechte Hand von seiner Schulter und wandte sich zum Gehen um.
»Gehen wir ins Haus«, sagte er. »Man wird uns vermissen. Was soll Ihr Vater denken?«
»Das ist mir gleichgültig.« Sie hielt ihn am Ärmel fest. »Sie wollen tatsächlich zurück ins Haus, Marco?«
»Ja.« Sie will, dachte er. Und sie bekommt immer alles, was sie will. Eine plötzliche Ernüchterung ergriff ihn. Irgendwie fielen der Zauber dieser Nacht und das Gefühl für die verlockende Nähe dieses Mädchens von ihm ab. Ich wäre ein Verrückter, wenn ich sie jetzt küssen würde. Der arme Zoologe und die Millionärstochter, der Companheiro und die Märchenprinzessin – welch eine Absurdität! »Ich glaube, es ist klüger, jetzt zu gehen.«
Sofia schwieg. Sie hakte sich bei ihm unter, und wortlos gingen sie wieder die Freitreppe hinauf und betraten den Saal. Niemand beachtete sie, nur der wachsame Assis registrierte, daß Lobos' Tochter und Marco Minho allein im Park gewesen waren. Fast eine halbe Stunde. Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren, dachte er und nahm einen Schluck Champagner. Wenn er im
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