Das Regenwaldkomplott
wert als ein hungerndes Kind! Haben Sie mal diesen Aspekt berücksichtigt?«
»Natürlich.« Minho sah Assis forschend an. Von der ersten Sekunde an war Assis ihm unsympathisch gewesen. Er wußte das nicht zu erklären, aber jetzt war ihm klar, daß diese so vornehme, schmuckglitzernde Gesellschaft den Regenwald nur als goldene Quelle betrachtete, die man ausschöpfen mußte. »Die Erhaltung des Regenwaldes verhindert eine Umweltkatastrophe, die nicht eingrenzbar ist. Da werden nicht Tausende Menschen verhungern, sondern die ganze Menschheit wird wahrscheinlich vernichtet werden! Mit dem Ozonloch hat es angefangen. Wer weiß, was ihm noch folgen wird.«
»Sie haben recht, Senhor Minho!« Assis wußte, daß ihn jetzt jeder verblüfft anblickte. »Warten wir es ab. Die Natur ist klüger als wir, das wissen Sie selbst, und die Natur wird sich einpendeln auf die neuen Gegebenheiten.«
Senhorita Sofia war es, die Minho von diesem Gespräch erlöste. Sie kam zu den Herren und hakte sich bei Minho unter.
»Nein, nein, nein!« sagte sie. »Es ist immer das gleiche bei allen Festen: Die Herren stellen sich in eine Ecke und politisieren. Heute aber nicht! Es wird getanzt, Senhores. Kommen Sie, Senhor Minho …«
Sie führte ihn in die Mitte des Saales. Die Kapelle spielte einen Tango, und Minho wußte, daß er sich blamieren würde, denn gerade der Tango war ein Tanz, den er gar nicht gut beherrschte. Und das als Südamerikaner, als Brasilianer! Das war fast unverzeihlich. Aber er stand den Tanz durch, und Sofia war so höflich, nicht das Gesicht zu verziehen, wenn er ihr auf die Füße trat, im ganzen viermal.
»Kommen Sie«, sagte sie nach dem Tango, »gehen wir auf die Terrasse. Frische Luft ist das, was ich jetzt brauche.«
»Ich bin ein grauenhafter Tänzer, nicht wahr, Senhorita Sofia?«
»Nur beim Tango.« Sie lachte hell und zog ihn mit auf die breite Terrasse. Die Treppen in den Park waren rechts und links mit Marmorstatuen geschmückt, dazwischen standen große Töpfe voll blühender Pflanzen. Eine protzige Terrasse, die an die Villen römischer Kaiser erinnerte, aber sie paßte zu Lobos Lebensstil. »Vielleicht haben wir, wenn Sie in Boa Vista wohnen und wir von Manaus herüberkommen, Gelegenheit, den Tango zu üben.«
»Ich werde das als einen großen Wunsch in mein Herz schreiben.«
»Oh, Sie können poetisch sein?«
»Paßt das auch nicht zu Ihrem Bild von einem Zoologen?«
»Ich habe durch Papa viele Wissenschaftler kennengelernt, doch alle waren so trocken wie Stroh.«
»Vielleicht bin ich das auch?«
»Nein, Sie sind eben völlig anders. Gehen wir im Garten etwas spazieren?«
»Wenn Sie wollen, gern.«
»Ich will.«
Sie gingen die breite Treppe mit den Marmorfiguren hinunter und blieben vor einem Beet mit gelben und rosa Rosen stehen. Minho blickte zum Himmel. Die unendliche Sternenpracht faszinierte ihn immer wieder. Dieses glitzernde Himmelsgewölbe war ein Beweis der Ewigkeit … wenn das Licht eines Sternes Milliarden Jahre braucht, um auf der Erde gesehen zu werden, sind alle Versuche vergeblich, das Weltall zu ergründen.
»Ich will, sagten Sie eben, und es klang unabänderlich.« Minho riß sich vom Anblick des Himmels los und sah Sofia in die schwarzen Augen. Zwei goldene Punkte, Widerschein der auf der Terrasse stehenden Kandelaber, tanzten in ihren Pupillen. »Bekommen Sie immer alles, was Sie wollen?«
»Ja.«
Eine klare Antwort. Dabei blitzte es in ihren Augen auf. Sie lächelte leicht.
»Ist das nicht langweilig, Senhorita Sofia? Alles sofort zu bekommen, was man will? Was bleiben da noch für Wünsche übrig? Ein Leben ohne Wünsche – ist das ein trauriges Leben.«
»Ich bin nie traurig. Doch ja, einmal war ich es, als Lolo, mein Hund, starb. Da habe ich sogar geweint. Papa sagte, ich sei ein dummes Mädchen. Um einen Hund weint man doch nicht. Würden Sie um einen Hund weinen, Marco?«
»Ja. Bestimmt. Wenn er jahrelang an meiner Seite war. Immer treu, da kann man weinen.«
»Was hat Sie in dieses schreckliche Boa Vista getrieben?«
»Ich habe einen Forschungsauftrag. Hat Ihnen Ihr Vater davon nichts erzählt?«
»Vielleicht der Mama, mir nicht. Was wollen Sie erforschen?«
»Bislang unbekannte Tiere im Regenwald.«
»Dann werden Sie mehr im Wald sein als in Boa Vista?«
»Es sieht so aus, Senhorita Sofia. Im Wald und an den Flüssen. Man schätzt, daß im Amazonasgebiet mehr als 3.000 verschiedene Fischarten leben, von denen nur 2.000 erforscht sind. Dort, wo Sie
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