Das Regenwaldkomplott
Sie taten es vor allem, um sich, wenn etwas geschehen sollte, keine Vorwürfe machen zu müssen. Nachts, wenn die dicken Läden mit den Schießscharten die Fenster verschlossen, glich Maputos Haus einer Festung, in die niemand eindringen konnte, ohne einen weithin hörbaren Lärm zu machen. Wenn man Julio umbringen wollte, dann mußte das am Tag geschehen. Und der Mörder würde wenig Aussicht haben, sein verdammtes Kopfgeld auszugeben. Er konnte niemals entkommen.
»Vielleicht fliege ich demnächst nach Europa«, sagte Maputo in diesen Tagen zu seinen Freunden. Auch die Soldaten hörten mit. »Ich will die reichen Regierungen jener Länder sprechen, die Millionen nach Brasilien pumpen, damit unser Land aus der Armut kommt. Und wo bleiben die Millionen, ja Milliarden? In den Händen der Großgrundbesitzer, die vom Staat Subventionen bekommen, wenn sie nachweisen, daß sie den Regenwald abgeholzt haben, Weideland daraus gemacht haben, Vieh züchten und Rindfleisch für den Export erzeugen. Aber wer kontrolliert sie, die Rinderbarone? Stehen auf dem abgebrannten Land wirklich Viehherden? Die großen Viehzüchter und Grundbesitzer lassen ein paar Rinder auf dem Kahlschlag weiden – und schon fließen die Milliarden in ihre offenen Hände. Es ist der größte Betrug aller Zeiten. Das will ich den Regierungen in Europa erzählen. Sie werfen ihre Milliarden in einen Sumpf von Korruption.«
Schon einen Tag später war Miguel Assis über die Pläne Maputos informiert. Wenn diese Europareise stattfand, hörte der ständige Geldfluß auf.
»Jetzt ist es Zeit, höchste Zeit!« sagte Assis auf der nächsten Sitzung des ›Rates‹. »Wir können nicht länger zusehen. Venancio, du hast doch zwei gehorsame, mutige Söhne –«
»Miguel!« Venancio, der im vergangenen Jahr allein 67.000 Hektar Regenwald abgeholzt oder verbrannt hatte, um angeblich Tausenden Rindern Gras zu geben und Subventionen zu kassieren, schnellte von seinem Stuhl hoch. »Das ist doch ein Witz!«
»Es ist mein vollster Ernst. Dein Sohn Fernão hat ein Indiomädchen vergewaltigt und dann das ganze Dorf abbrennen lassen. Es ist nie bekanntgeworden, wer dieses schreckliche Verbrechen auf dem Gewissen hat. Aber ich weiß es. Und du auch! Und dein Sohn Mauricio –«
»Hör auf damit!« unterbrach Venancio erregt. »Das ist alles lange her.«
»Aber es ist geschehen. Deine Söhne sollten sich jetzt, zu unser aller Nutzen, um Maputo kümmern. Jetzt würden sie ein gutes Werk tun, für uns und vor allem auch für dich!«
»Es ist zu gefährlich, Miguel.«
»Natürlich ist es gefährlicher, als ein Indianermädchen aufs Kreuz zu legen. Venancio, besprich es mit deinen Söhnen. Wir haben wirklich nicht mehr viel Zeit. Maputo darf nicht nach Europa fliegen!«
»Dann laß das Flugzeug doch in der Luft explodieren! Ein Koffer mit einer Plastikbombe ist leichter in einen Flieger zu schmuggeln, als Maputo auf der Erde zu treffen.«
»Und die zweihundert oder dreihundert anderen Menschen, die auch in die Luft fliegen?«
»Große Entscheidungen fordern meistens ihre Opfer. Wir befinden uns in einem Krieg«, sagte Venancio kalt. »Und es gibt keinen Krieg ohne Tote. In einem Krieg trifft es auch die Unschuldigen.«
»Eine Flugzeugbombe? Nein!« Assis winkte energisch ab. »Maputo muß ausgeschaltet werden, bevor man überhaupt erfährt, daß er nach Europa fliegen will. Das heißt: Es muß in den nächsten Tagen geschehen!«
In der Siedlung der Seringueiros patrouillierten weiterhin die Wachen. Die beiden Soldaten saßen mit der Familie Maputos am Tisch, Marco hatte sich sogar mit ihnen angefreundet und durfte am Waldrand mit ihren MPs schießen. Welch ein Erlebnis!
Eine große Ruhe lag über allem. Ein Bild des Friedens.
Ein trügerisches Bild.
Die Söhne des Viehzüchters Venancio, der smarte Playboy Fernão und der bullige Mauricio, waren unterwegs. Zum Wohle Brasiliens.
* * *
Die Forschungsausflüge, die Luise Herrmann in Begleitung von fünf Yanomami-Indianern in den Regenwald am Rio Parima unternahm, dauerten manchmal eine Woche. Es waren Tage, in denen die Angst deutlich in Thomas' Augen stand. Es half auch nichts, daß Pater Ernesto sagte: »Sicherer als bei den fünf Yanomami ist keiner im Wald. Mach dir keine Sorgen, Tom. Sie kommt wieder.« Und Pater Vincence setzte noch einen drauf, indem er behauptete: »Luise ist ein zähes Mädchen. Man sieht's ihr nicht an, aber sie hat die sieben Leben einer Katze und die Natur eines Aals – der springt
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