Das Regenwaldkomplott
keineswegs von Termiten zerfressen, sondern friedlich schlafend zwischen den mächtigen Brettwurzeln des Baumes. Er rüttelte ihn an den Schultern. Marco riß die Augen auf und spannte sofort alle Muskeln an, aber als er Gilbertos Gesicht sah, lächelte er und sank wieder gegen den Baumstamm zurück.
»Die Tiere scheinen zu wissen, daß ich als Zoologe zu ihrem Schutz hier bin. Sie haben mir nichts getan. Nicht ein einziges Ameisenzwicken. Wie haben Sie geschlafen?«
»Gut. Einmal hatte ich Besuch von einem Totenkopfäffchen, aber es hat sich schnell wieder davongemacht.« Gilberto verzog spöttisch den Mund. »Senhor, was kann ich Ihnen zum Frühstück anbieten? Die Hühner haben heute keine Eier gelegt, das Brot ist verschimmelt, der Kaffee ist alle, der Kaufmann hat das Geschäft noch nicht geöffnet – was ich Ihnen anbieten kann, ist Regenwasser aus dem Sammelbecken einer Bromelie.« Sein Gesicht wurde ernst. »So ist die Lage, Senhor.«
»Dann machen wir drei Kniebeugen zum Frühstück und ziehen sofort weiter. Wenn wir an einen Fluß kommen –«
»Wenn!«
»Dann werden wir uns ein paar Fische fangen und braten. Das Land hier ist durchzogen von kleinen Flüssen, die man von oben nicht sieht, weil sie überwachsen sind. Man fährt auf ihnen wie durch eine große grüne Röhre. Und am Fluß gibt es auch Menschen.«
»Die wünsche ich mir am allerwenigsten zum Frühstück.« Gilberto hängte sich das Gewehr um, wippte mit der Machete in der rechten Hand und stieß einen lauten Seufzer aus. »Also dann, ziehen wir los, Senhor. Noch bin ich nicht soweit, daß ich Raupen und Käfer fresse, aber vielleicht kommen wir noch dazu.«
Zwei Stunden lang hieben sie sich ihren Pfad durch den Farnen- und Lianendschungel und erreichten tatsächlich einen schmalen Fluß, der sich durch den Regenwald schlängelte. Die Ufer waren dicht bewachsen mit Mangroven, und die Kronen der Riesenbäume bildeten ein fast geschlossenes Dach. Wasservögel aller Art flatterten kreischend auf, als Marco und Gilberto durch das Unterholz brachen. Drei Rosalöffler standen im seichten Wasser des Ufers und äugten zu ihnen hinüber. Ein paar Rotaugenenten standen auf den großen Blättern einer Wasserpflanze. Ein großer Hoatzin, den man auch wegen seines starken Moschusgeruches Zigeunervogel und Stinkfasan nennt, spreizte sein auffallendes Gefieder, nickte ein paarmal mit seinem Haubenkopf, flog aber nicht davon. In ihren Nestern hockten die Sonnenrallen, eine Art Kranichvogel, der von Fröschen, Insekten und anderen Kleintieren lebt. Einige Indianerstämme hielten sich die Sonnenralle wie Federvieh, gleichwertig neben Hühnern und Enten. Wenn die Sonnenralle ihr gefächertes Gefieder spreizt, leuchtet sie in der Dämmerung des Regenwaldes wirklich wie eine Sonne – so herrlich sind ihre Federn.
»Schönes, klares, sauberes Wasser«, sagte Gilberto aufatmend.
»Und Piranhas und Kaimane.« Marco Minho blieb am Ufer stehen und musterte den Fluß argwöhnisch. Friedlich floß er dahin, ab und zu schnellte ein Fisch hoch und ließ seinen silbernen Bauch glitzern. Die dichten Schwärme der Piranhas, der Todesfische, wie sie die Indios nennen, waren nicht zu sehen. »Wollen Sie die Fische hier mit der Hand fangen?« fragte Gilberto grinsend.
»Nein, aber wie die Indianer.« Marco ging ein paar Schritte in den Wald hinein, hieb ein langes Bambusrohr aus dem Gebüsch heraus und spitzte mit dem Beil das eine Ende zu. So wurde aus dem Bambusstab ein tödlicher Speer.
Als er zum Ufer zurückkam, saß Gilberto schon auf einem dicken Mangrovenast über dem Wasser. Er wies mit ausgestreckter Hand in den Fluß. »Da schwimmt ein Riesenbrocken hin und her!«
Marco nickte zufrieden. »Ein Arapaima. Der größte Süßwasserfisch, den es gibt. Der kann bis zu 200 Kilogramm schwer werden.«
»Kenne ich, Senhor. Lassen Sie mich mal machen.« Gilberto nahm den Bambusspeer und wog ihn in der Hand. »So einen Prachtkerl hatte ich einst am Rio Branco an der Angel. Zwei Stunden habe ich mit ihm gekämpft, bis er endlich aufgab. Das gab ein Fischessen für vierzig Personen!« Er kletterte noch ein Stück weiter auf dem Mangrovenast und starrte in das Wasser.
»Da! Da ist er wieder!« rief Marco leise. »Sehen Sie ihn?«
»Ja. Das ist ein Bursche von schätzungsweise 90 Kilo.«
»Und den treffen Sie?«
»Das ist keine Kunst. Das Problem ist, wie ich ihn ans Ufer kriege. Wenn ich ihn getroffen habe, hängen die Piranhas an ihm und fressen ihn in
Weitere Kostenlose Bücher