Das Regenwaldkomplott
beginnt jetzt. Heute!«
»Ohne eine Ermächtigung der Regierung?« fragte Thomas.
Bilac fuhr zornig herum. Pater Vincence hob die Augen zur Decke, als wollte er beten: Gott, verhindere ein Erdbeben.
»Wer sind denn Sie?« schrie Bilac. »Wo kommen Sie denn her?!«
»Dr. Binder.« Thomas machte eine angedeutete Verbeugung. »Ich bin der neue Arzt auf der Mission.«
»Ach ja, ich habe von Ihnen schon gehört. Senhor Beja hat mich informiert. Und nun mischen Sie sich in eine polizeiliche Angelegenheit ein!«
»Ich sehe das anders. Die Wilden, die Sie bestrafen wollen, sind auch meine Patienten. Ich habe als Arzt die Pflicht –«
»Sie haben gar nichts!« bellte Bilac und zog aggressiv die Schultern hoch. »Hier handelt es sich um eine staatliche Maßnahme, aus der Sie sich rauszuhalten haben! Schließen Sie Ihre Patientenkartei. Es gibt keine Kranken mehr!«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ob Sie das verstehen oder nicht, das ist mir gleichgültig.« Er musterte Thomas wie ein Pferd, das er kaufen wollte. »Sind Sie etwa Deutscher?«
»Ja.«
»Und da wagen Sie es noch, das Maul aufzureißen? Sich darüber aufzuregen, daß wir einige Indianer für ihre Untaten bestrafen?«
»Es ist noch nicht bewiesen, daß –«
»Dr. Binder, kümmern Sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Ich befehle Ihnen, sich da rauszuhalten.«
»Sie haben mir nichts zu befehlen, Coronel.«
»Sie unterstehen der Polizeigewalt von Roraima. Und die Polizei bin ich!«
»Gewalt ist ein treffender Ausdruck«, erwiderte Thomas, völlig ruhig. Er übersah auch, daß Pater Vincence verstohlen seinen Finger auf den Mund legte. »Wenn Sie es so meinen, gut, ich beuge mich der Gewalt.«
»Na, endlich begreifen Sie!« Bilac wandte sich von Thomas ab. »Haben Sie noch etwas zu sagen?« herrschte er dann die Patres an.
»Ja. In zehn Minuten beginnt unsere Sonntagsmesse.«
Wie auf Stichwort begann die kleine Glocke auf dem Missionshaus zu läuten. Bilac holte tief Luft, sah Beja an und nickte.
»Auf diese Stunde kommt es auch nicht mehr an«, sagte er etwas ruhiger. »Besuchen wir zuerst die Messe. Gemeinsam.«
Er ging zur Tür, gefolgt von Ribateio und Beja. Draußen schlossen sich seine Offiziere und alle Polizisten an.
Der Coronel betrat als erster den Gebetssaal, ging zu seiner Bank in der vordersten Reihe und kniete sich nieder.
Als Thomas und Pater Ernesto als letzte den Gemeindesaal betraten, spielte Schwester Lucia gerade auf dem Harmonium ein Kirchenlied. Alle sangen mit, Bilac, Ribateio, die Polizisten aus Boa Vista, die Missionsarbeiter und Angestellten. Sogar vier Garimpeiros, die am Morgen aus Novo Lapuna eingetroffen waren und unbedingt Dr. Binder sprechen wollten, knieten vor dem kleinen Altar und sangen aus rauhen Kehlen mit. Sie hatten Goldketten um den Hals, jeder zwei Pistolen im Gürtelbund, an der Seite ein langes doppelschneidiges Messer, und sie verströmten einen beißenden Geruch aus Schweiß, Erde, Schnaps und körperlicher Unsauberkeit. Luigi, der Krankenpfleger, der sie zuerst im Hospital zu Gesicht bekommen hatte, war sofort auf sie losgegangen: »Ihr alten Stinkböcke! Bevor ich euch zum Doktor bringe, kratzt ihr euch im Fluß erst den Dreck vom Körper.«
Auch Bilac, der vor ihnen kniete, rümpfte die Nase und nahm sich vor, nach der Messe mit den Ferkeln zu reden.
Pater Ernesto und Thomas blieben neben der Tür des Betsaales stehen und warteten dort, bis Pater Vincence seinen Segen gesprochen hatte. Mit versteinertem Gesicht beobachtete Thomas, wie Coronel Bilac tief den Kopf senkte und sich bekreuzigte. Ein demütiger Christ.
»Kein Kommentar, Tom«, flüsterte Ernesto mahnend, als er die Bestürzung in Thomas' Augen sah. »Wir sind alle Gottes Kinder – nur eben jeder auf seine Weise. Was sollen wir dagegen tun? Er hat ja genug Vorbilder.«
»Ich weiß. Die Konquistadoren. Pizarro, Cortez, und wie sie alle hießen. Mit Kreuz, Schwert und Alkohol Eroberung der Welt zum Ruhme Gottes. Was wird Bilac nach der Messe machen?«
»Ich vermute, eine Strafexpedition zu den Yanomami.«
»Sind sie alle noch rechtzeitig fortgekommen?«
»Hoffentlich. Ich mache mir Sorgen, wie Bilac reagiert, wenn er das Dorf verlassen vorfindet. An wem wird er wohl seine Wut austoben? Geh ihm aus dem Weg, Tom! Denk an das Hospital, was wir hier alles aufgebaut haben!«
»Können wir uns denn gegen ihn überhaupt nicht wehren?«
»Nein. Wir können hinterher in Boa Vista oder Brasilia einen Protest loslassen – nur, den
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