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Das Reich der Elben 01

Das Reich der Elben 01

Titel: Das Reich der Elben 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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waren jedoch kaum mehr als vage Andeutungen, und ich bin begierig, mehr über die Ereignisse dort zu erfahren.«
Keandirs Haltung straffte sich, und er hob fragend die
Augenbrauen. »Meiner Erinnerung nach habe ich Euch sehr ausführlich berichtet – und nicht nur Euch!«
Ihr fiel auf, dass er wieder höflich-distanziert zu ihr sprach und die intimere Anrede nicht mehr benutzte. »Ja, was das äußere Geschehen betrifft, mögt Ihr recht haben.« Auch sie verfiel wieder in die distanziertere Anrede. »Und manchmal war ich geistig bei Euch und habe den Schmerz und die Furcht mit Euch geteilt. Und doch habe ich das Gefühl, dass da noch
etwas ist. Etwas, dass Ihr bisher vor mir verborgen haltet, mein
König.«
Auch Keandir registrierte, dass sie ihn mein König genannt hatte und in die Höflichkeitsform gewechselt war. Es zeigte an, dass es da etwas Trennendes zwischen ihnen gab. Etwas, das Keandir bisher mit Schweigen auszublenden versucht und das mit dem dunklen Fleck in seiner Seele zu tun hatte. Aber wie konnte er mit Ruwen über etwas sprechen, das er sich nicht selbst eingestand? Und wie konnte er in einem Augenblick, da er all seine Kraft für die Errichtung des Reichs Elbiana brauchte, sich der Ahnung stellen, dass da in seinem Inneren etwas wuchs, das zerstörerisch und finster war und vielleicht sogar den Keim des Verderbens in sich trug?
»Ihr irrt Euch, geliebte Ruwen.«
Sie sah ihn an, dann küsste sie ihn sanft auf die Wange. »Das würde ich so gern glauben, mein König«, flüsterte sie.
»Kean…«
Die Tage des Winters gingen dahin. Eisige Stürme fegten über Hoch-Elbiana und seine felsigen Küsten, und die Fälle von Schwermut und Lebensüberdruss nahmen wieder zu. Immer wieder kam es vor, dass sich Verzweifelte an den nahen Klippen ins Meer stürzten. Die Heilerin Nathranwen vertrat die Ansicht, dass dies vor allem mit der Kürze der Tage und weniger mit der Kälte zu tun hatte. Denn schließlich hatten Elben eine sehr weitgehende Kontrolle über ihren Köper, die es ihnen gestattete, die Lebensvorgänge ihrer Physis so zu verändern, dass sie immun gegen Kälte waren und kaum noch Nahrung brauchten.
Doch Keandir warnte davor, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen. »Bekämpft die Kälte nicht, indem ihr selbst kalt werdet und euch daran gewöhnt, so bedürfnislos wie Tote zu
sein. Das haben wir während unserer langen Reise getan, und ihr seht, wohin es uns gebracht hat. Wenn ihr friert, dann entzündet Feuer. Und wenn ihr hungrig seid, dann geht auf die Jagd. Sonst werdet ihr schneller zu Jeradran, als ihr es für möglich haltet.«
Jeradran – ein uralter, in den Legenden nicht selten abfällig gebrauchter Begriff für die Jenseitigen, der sowohl Eldran als auch Maladran umfasste. Ein Wort, das Keandir in den aktiven Sprachschatz der Elben zurückführte, um seinem Volk bewusst zu machen, wie sie niemals werden durften, wenn der Traum von Elbiana nicht bereits im Keim verkümmern sollte.
Die Monate gingen dahin. Schnee und Eis bedeckten die nahen Klippen, aber Keandir sorgte dafür, dass die Bautätigkeiten an der neuen Stadt nicht ins Stocken gerieten.
»Wenn das geschieht«, sagte er einmal zu Prinz Sandrilas, der den Vorschlag gemacht hatte, die Arbeiten bis zum Frühjahr ruhen zu lassen, »dann wissen wir nicht, ob wir je wieder die Kraft haben werden, die schwere Arbeit wieder aufzunehmen.« Prinz Sandrilas hatte leicht genickt, nachdem er seinen König eine ganze Weile gemustert hatte, und gesagt: »Ja, da mögt Ihr
vielleicht recht haben.«
»Es ist nicht wichtig, ob unsere Vorhaben während des Winters nennenswert vorankommen«, erklärte der König. »Es ist nur wichtig, dass wir nicht aufhören, uns damit zu beschäftigen, Sandrilas!«
Der Einäugige nickte erneut. »Ich glaube, ich verstehe, was Ihr meint. Aber diese Art zu denken ist mir dennoch fremd, mein König – wenn Ihr mir diese Bemerkung erlaubt.«
Die ersten Monate nach der Wintersonnenwende waren die schlimmsten. Der Lebensüberdruss grassierte wieder, und höchstens die Hälfte der Elben war in der Lage, sich überhaupt an den anfallenden Arbeiten zu beteiligen. Die anderen versanken in Melancholie und Trübsinn oder wurden durch
eine Vielzahl von Zweifeln geplagt, die wie eine lähmende Droge wirkten. Keandir hatte geahnt, dass dieser Rückschlag kommen würde. Aber er hatte nicht geglaubt, dass er mit solcher Heftigkeit derart große Schneisen in die Reihen der aufrechten und einsatzfähigen Elben schlagen

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