Das Reich der Elben 01
würde.
Das Schlimmste aber war, dass der König auch in sich selbst durchaus den Keim der Verzweiflung aufgehen bemerkte. Er musste mit aller Kraft dagegen ankämpfen. Der Gedanke, dass dann alles verloren war, noch ehe es richtig begonnen hatte, hielt ihn aufrecht. Das durfte auf keinen Fall geschehen, und Keandir war bereit, nahezu jeden Preis zu bezahlen, um das zu verhindern.
Er besprach sich mit den besten Heilern unter den Elben, und sehr häufig suchte er Brass Shelian auf, der die Nachfolge von Brass Elimbor als Oberster Schamane angetreten hatte. Es hatte viele überrascht, dass ausgerechnet ein so vergleichsweise junger und darüber hinaus der einzige seegeborene Schamane dieses hohe Amt angetreten hatte, was ganz wesentlich auf den Einfluss des Königs zurückzuführen war. Ein seegeborener Oberschamane war dem neuen Reich Elbiana angemessen. Ein Mann, der wie der König auf den schwankenden Planken eines Schiffes geboren war, der die Vision von Bathranor nie wirklich hatte teilen können und der die einmalige Möglichkeit, die sich dem Elbenvolkes durch die Landung im Zwischenland bot, wirklich zu schätzen wusste. Ein Mann auch, dem Keandir es zutraute, dass er die Elben mit der Tatsache versöhnen konnte, dass sich nicht nur ihre Götter, sondern auch ihre Toten von ihnen abgewandt hatten und sich für die Zukunft Elbianas nicht zu interessieren schienen.
»Gibt es nicht irgendeinen Zauber, der uns helfen könnte?«, fragte Keandir den erhabenen Brass nicht zum ersten Mal.
»Glaubt mir, ich denke von morgens bis abends über nichts anderes als über diese Frage nach«, erklärte ihm der
Schamane. »Aber ich fürchte, es gibt keine einfache Lösung, keinen Weg, der auf geradem Weg zum Ziel führt.«
»Ihr wollt damit sagen, dass Eure Zaubermacht nicht ausreicht, nicht wahr?«
»Ihr habt gesehen, wie weit die Zaubermacht von Brass Elimbor noch reichte«, gab der Schamane zu bedenken. »Viele der Alten behaupten, es läge an der Unfähigkeit der Jüngeren, dass die Magie nicht mehr so funktioniert, wie dies angeblich in der Alten Zeit von Athranor noch der Fall war. Ich sage ausdrücklich ›angeblich‹, denn manche dieser Erzählungen scheinen mir doch etwas arg an Wunschbildern anstatt an der Wirklichkeit orientiert zu sein.«
»Ein Fehler, den wir wohl alle begehen, wenn wir nur weit genug in die Vergangenheit sehen«, meinte Keandir.
»Mag sein. Aber der Punkt, auf den ich hinaus will, ist ein anderer, mein König. Es wäre doch denkbar, dass sich nicht unsere Fähigkeiten im Umgang mit der Magie verändert haben, sondern die Natur der Magie selbst. Das ist ein Aspekt, über den ich mir ehrlich gesagt schon lange Gedanken mache.«
»Ohne dabei zu einer wirklich abschließenden Beurteilung gelangt zu sein, wie ich annehme«, sagte Keandir.
»Ganz in der Tradition erkenntnissüchtiger elbischer Schamanen«, gab Brass Shelian zu. Er atmete tief durch, und sein Blick schweifte in die Ferne. »Ich frage mich oft, was Brass Elimbor zu diesen Dingen gesagt hätte…«
Ein anderes Mal unterhielt sich Keandir mit der Heilerin
Nathranwen über die grassierende Melancholie.
»Es wird sich ändern, sobald die Tage wieder länger und heller werden«, versicherte sie dem König, der ihr manchmal den Eindruck machte, als würde auch er bereits an der Erreichbarkeit des großen Ziels zweifeln und dies nur mit aller Macht zu verbergen versuchen.
»Ich danke Euch für Eure Worte der Hoffnung«, entgegnete
Keandir.
»Grund zur Hoffnung habt Ihr in der Tat, denn die Zwillinge, die unter dem Herzen Eurer Gemahlin heranwachsen, gedeihen prächtig. Und das, obwohl selbst sie in den letzten finsteren Monaten nicht frei von inneren Zweifeln war, wie Ihr sicher auch gemerkt habt.«
Das hatte Keandir durchaus. Ruwen war schweigsamer geworden, und ihr anfänglicher Optimismus war wieder der Schwermut gewichen, die Keandir zwar noch keine Sorge bereitete, in der manche aus der Heilerzunft jedoch eine Vorform des Lebensüberdrusses zu erkennen vermeinten.
»Da Schwangerschaften während der Seereise immer seltener wurden, kann ich als Seegeborner kaum behaupten, sehr viel darüber aus eigener Anschauung zu wissen«, sagte Keandir.
»Aber ich habe viel darüber gelesen. Unter anderem heißt es in den Schriften der Alten Heiler, dass Melancholie das Wachstum des Kindes hemmt.«
»Bei Eurer Gemahlin ist dies nicht der Fall, wie ich Euch versichern kann, mein König«, antwortete Nathranwen. »Es scheint die beiden Jungen regelrecht
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