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Das Reich der Elben 01

Das Reich der Elben 01

Titel: Das Reich der Elben 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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Schraubstock.
»Ihr überschätzt Euch, Krieger!«, dröhnte die Geisterstimme des Augenlosen. »Wagt das nie wieder, sonst wird Eure jämmerliche sterbliche Existenz nicht nur weitaus früher enden, als es die Götter ohnehin vorgesehen haben – ich werde auch Eure erbärmliche Seele für ein Äon oder mehr leiden lassen, bevor ich sie schließlich vernichte!«
Ein Zittern durchlief Branagorns Körper. Er konnte nichts dagegen tun. Die Magie des Augenlosen Sehers war zu mächtig. Eine Beschwörungsformel zur Abwehr lag dem jungen Elbenkrieger auf der Zunge. Ein einfacher, primitiver Zauber, wie ihn jeder Elb schon als Kind erlernte und der in solch einer Situation jedem Angehörigen dieses Volkes fast schon instinktiv über die Lippen gekommen wäre. Aber Branagorns Zunge war wie gelähmt. Er war nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Ton vorzubringen.
In der Gewissheit, alles unter Kontrolle zu haben, wandte sich der Augenlose wieder Keandir zu und öffnete erneut den Mund. Der dunkle Schwarm der wimmelnden Teilchen, von denen jedes einzelne noch viel kleiner sein musste als ein Sandkorn, kehrte aus der Nase des Königs zurück in den
Schlund des Augenlosen. Dieser stieß einen glucksenden Laut aus, nachdem er die wimmelnden Winzlinge verschluckt hatte. Keandir schloss die Augen. Es war ein plötzlich auftretendes Bedürfnis, so mächtig wie die Sehnsucht nach Schlaf, wenn man der vollkommenen Erschöpfung nahe war. Der Elbenkönig wirkte wie erstarrt. Er glich in seiner
Regungslosigkeit der Skulptur eines Bildhauers.
Der Augenlose ließ ihn los und nahm ihm die beiden Stäbe wieder ab, die daraufhin für einen kurzen Moment seltsam leuchteten, so als wären sie mit einer phosphorisierenden Substanz bestrichen. Doch dieses Leuchten hielt nur wenige Herzschläge lang an.
»Öffne die Augen!«, wies der Seher den König an.
Dieser gehorchte. Branagorn erschrak, als er sah, dass die Augen seines Königs im ersten Moment vollkommen schwarz waren. Doch nach dem ersten Lidschlag war diese Schwärze verschwunden und das Weiße in den Augen des Königs zurückgekehrt. Ein Ruck ging durch dessen Körper, und er löste sich aus der Erstarrung.
Eine Furche erschien auf seiner Stirn. Er blickte Branagorn verwirrt an.
Der Augenlose nahm auch den magischen Bann von dem jungen Elbenkrieger. Von einem Herzschlag zum anderen war die geisterhafte Kraft von ihm genommen, die ihn bis dahin gehalten hatte. Branagorn murmelte den Abwehrzauber, dessen Formel er bereits die ganze Zeit über dem Augenlosen hatte entgegenschleudern wollen.
Dieser lachte nur. »Versucht nicht, Euch in magischen
Dingen mit mir zu messen, junger Krieger!«
»Was habt Ihr getan, Augenloser?«
»Nichts, was Euch beunruhigen müsste, mein übereifriger
Vasall eines Königs, der vor den entscheidenden Fragen seines
Äons zu kapitulieren droht!« Wieder verzog sich der Mund zu einem Ausdruck blanken Hohns.
»Ist mit Euch alles in Ordnung, mein König?«, fragte
Branagorn.
Keandir nickte lediglich. Er machte noch immer einen leicht verwirrten Eindruck und sah sich suchend um.
Der Augenlose wandte sich wieder Keandir zu. »Macht Euch keine Sorgen, o König der dem Vergessen Anheimfallenden. Zumindest nicht über Euch selbst, denn ich bin nicht Euer Feind, sofern Ihr nicht zu meinem werdet.«
»Was habt Ihr mit mir gemacht?«, fragte Keandir. Mit den Fingern berührte er die Schläfen, so als hätte er Schmerzen. Sein Gesicht hatte den Zug von Gelassenheit und Verklärung verloren, der ansonsten so typisch war für den König der Elben.
»Ich habe Eure Seele geprüft, das ist alles.«
»Meine Seele geprüft?«, wiederholte Keandir ungläubig.
»Ihr wolltet doch mehr über die Gabelungen des Schicksals wissen. Mehr über das Muster, das Schicksal und Zeit bilden und das für den Kundigen so klar zu erkennen ist, dass es für ihn ein ewiges Rätsel ist, warum Geschöpfe von geringeren Geistesgaben darin ein unentwirrbares, chaotisches Knäuel sehen!« Der Augenlose machte eine Pause.
Keandir schloss kurz die Augen und stützte sich gegen eine Felswand. Ihm war schwindelig. Ein Strudel von Bildern und Gedanken schwirrte durch seinen Kopf. Und Stimmen. Szenenfolgen aus seinem Leben reihten sich aneinander. Die ersten Erinnerungen seines Elbenlebens. Wahrscheinlich hatte die Magie des Augenlosen sie an die Oberfläche seiner Seele gespült. Er lag auf den Planken eines Schiffs und erwachte aus einem längeren Schlaf. Über sich sah er den wolkenlosen blauen Himmel, so

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