Das Reich der Elben 01
Argumenten
untermauert finden ließ.
Als Magolas erwachte, sagte er kein Wort. Er blickte in Richtung der Insel Naranduin, so als wäre dies ein Ort unerfüllter Sehnsucht und nicht eine Stätte namenlosen Schreckens, und schwieg.
Sie gingen bei den Anfurten von Westgard kurz an Land. Dort war man sehr mit dem Aufbau des Hafens beschäftigt, und der Anteil von Elbenkindern unter den dort siedelnden Elben war sehr hoch. Sie waren schon beim ersten Besuch der Zwillinge am Strand zusammengelaufen und hatten die beiden aufgrund
ihrer Ähnlichkeit bestaunt. Das taten sie auch diesmal, aber zum ersten Mal wurde Andir bewusst, dass da eine unsichtbare Grenze zwischen ihm und seinem Zwillingsbruder auf der einen Seite und all diesen anderen Kindern bestand, die in den letzten Jahren das Licht der Welt erblickt hatten.
Vielleicht war es nicht nur die gemeinsam erfundene Sprache und ihre verblüffende Ähnlichkeit, was sie beide von allen anderen absonderte. Dass sie königlichen Geblütes waren, spielte dabei keine große Rolle, denn Elbenkönige hatten sich immer als Teil ihres Volkes verstanden und weder hinsichtlich der eigenen Person noch bezüglich ihrer Familien eine besondere Distanz zur Bevölkerung aufkommen lassen.
Nein, es könnte auch ein gemeinsamer Fluch sein, der Magolas und ihn von allen anderen innerlich trennte, erkannte Andir. Ein Fluch, der mit den düsteren Mächten zu tun haben musste, denen ihr Vater auf Naranduin begegnet war…
Irgendwann, wenn er stark genug war, diesen Kräften zu widerstehen, würde er vielleicht auf dieser verfluchten Insel nach den Ursprüngen dieses Fluchs suchen, sagte sich Andir. Vielleicht hatte Magolas etwas Ähnliches in sich gespürt und deshalb den unstillbaren Drang gehabt, den Boden Naranduins zu betreten.
Auch auf der gesamten Fahrt die Küste zwischen Westgard und Elbenhaven entlang sprachen die Brüder kein Wort mehr miteinander, weder am Tag noch in der Nacht. Andir hatte die ganze Zeit über die Ruderpinne in der Hand. Für einen Elben war es keine Schwierigkeit, das Schlafbedürfnis für ein paar Tage oder sogar Wochen zu unterdrücken, auch wenn es insbesondere bei sehr jungen Elben meistens noch so war, dass sich der Schlaf-Wach-Rhythmus am Wechsel von Tag und Nacht orientierte; bei sehr alten Elben war er häufig völlig losgelöst davon.
Magolas beteiligte sich nicht an den an Bord anfallenden Aufgaben. Er half beim Wenden nicht, das Segel festzuzurren, und er schöpfte auch kein Wasser, wenn eine Welle Gischt über die Bugwand spritzte. Er saß einfach nur da und starrte vor sich hin. Andir sprach ihn in ihrer gemeinsamen Sprache endlich an, etwa einen halben Tag, bevor sie Elbenhaven erreichten.
Magolas blickte nur auf und antwortete: »Du redest eigenartiges Kauderwelsch, Andir. Elbensprache kann das nicht sein.«
Andir verstand. Sein Bruder wollte nicht mit ihm reden. Vielleicht war vor der Küste Naranduins etwas zwischen ihnen zerbrochen, was sie bis dahin bei aller Unterschiedlichkeit miteinander verbunden hatte.
Nachdem sie Elbenhaven erreicht hatten, legten sie mit der Barkasse im Hafen an und gingen anschließend in verschiedene Richtungen davon.
Ruwen fragte Andir danach, wo sie denn so lange gewesen seien.
»Sind ein paar Tage Abwesenheit schon neuerdings Grund, sich Sorgen zu machen?«, fragte Andir zurück. »Den Geschichten nach, die man sich erzählt und die ich las, fanden es Elbeneltern in Athranor durchaus nicht ungewöhnlich, wenn sich ein Kind mal für einen ganzen Sommer in den Wald zurückzog, um einem Setzling beim Wachsen zuzusehen.«
»Ja, aber das sind eben nun mal Geschichten, Andir, und wir wissen nicht, welche Übertreibungen sie enthalten«, entgegnete Ruwen, die irgendwie spürte, dass die Bootsfahrt der beiden Brüder nicht so verlaufen war wie die vielen anderen davor. Aber so sehr sie sich auch bemühte, Andir weigerte sich, mit ihr darüber zu sprechen. Und auch, als sie später Magolas auf ihre Seereise nach Norden ansprach, wollte dieser darüber kein Wort verlieren.
Ruwen sprach mit König Keandir darüber, doch dieser versuchte sie zu beruhigen. »Die beiden teilen eine Welt, zu der niemand sonst Zugang hat«, sagte er. »Das zeigt sich nicht nur in der gemeinsamen Sprache, mit der sie uns von ihren Unterhaltungen bisweilen ausschließen. Da ist noch sehr viel mehr – trotz ihrer Rivalität und der harten Auseinandersetzungen, die es manchmal zwischen ihnen gibt.«
»Du meinst also, wir bräuchten uns keine Sorgen zu
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