Das Reich der Elben 01
ich nun einmal den größten Magier, den die Elben je hervorgebracht haben – und als solcher gilt Andir inzwischen.«
»Ihr wollt die Rhagar von Aratan beeindrucken, Vater?«
»Ja.«
»Aber auch ich habe mich in der Magie vervollkommnet!«, erklärte Magolas. Wenn sich die Brüder auch nach wie vor möglichst aus dem Weg gingen, so war das alte Bestreben, jeweils die charakteristischen Fähigkeiten des anderen ebenfalls und möglichst in derselben Qualität zu erwerben, offenbar noch immer vorhanden. Für König Keandir bedeutete diese Erkenntnis einen Trost, denn sie besagte letztlich, dass doch nicht jede Verbindung zwischen den beiden Elbenprinzen abgebrochen war.
»Es wird andere Fahrten geben, auf denen du mich begleiten kannst, Magolas. Aber nicht diese.« Die Entscheidung des Königs stand fest.
Einige Wochen später erreichte die »Tharnawn« den Hafen von Candor, über den sich die prächtige Residenzburg Herzog Branagorns erhob. Dieser empfing Keandir und Andir, die von Waffenmeister Thamandor, Siranodir mit den zwei Schwertern und Ygolas dem Bogenschützen begleitet wurden, im Audienzsaal der herzoglichen Burg. Als sie eintraten, erhob er
sich von seinem Thron, um deutlich zu machen, dass er nach wie vor die Herrschaft des Elbenkönigs anerkannte, so wie es auch die gekreuzten Banner Elbaras und Elbianas an der Wand hinter seinem Thron deutlich machten. Ein Chor von fünf Hornbläsern begrüßte den König und seine Begleiter mit einem Fanfarenstoß.
»Ich hoffe, es geht Euch gut, werter Branagorn«, sagte Keandir. »Über Euer Wirken als Herzog von Elbara dringt jedenfalls nur Lobenswertes an den Hof von Elbenhaven.«
»Ich möchte nicht klagen«, erwiderte Branagorn. »Auch wenn ich nicht weiß, ob ich den Tod meiner geliebten Cherenwen jemals werde verwinden können, so hat mir doch die Verantwortung, die Ihr mir als Herzog übertragen habt, dabei geholfen, meinen Kummer zu verdrängen und nicht ständig von den Schatten meiner Seele verfolgt zu werden.« Branagorn begegnete dem Blick des Königs dabei auf eine Weise, die diesem nicht gefiel. Ich hoffe, dass es mit Euch ebenso ist, mein König!, schien er sagen zu wollen, aber selbstverständlich war der Herzog von Elbara zu höflich, Derartiges offen auszusprechen.
Keandir dachte darüber nach, dass er – trotz aller ehrlich gemeinten Wertschätzung, die er für Branagorn empfand – froh darüber war, dass der Mann, der als Einziger alle Erlebnisse auf Naranduin mit dem König geteilt hatte, nicht mehr am Hof von Elbenhaven weilte. Keandir hatte vergessen, wie sehr Branagorn ihn allein durch seine Anwesenheit an die Dunkelheit erinnerte, die in ihm wuchs.
Besonders herzlich fiel die Begrüßung zwischen Andir und dem Herzog aus. In Branagorn hatte Andir immer einen Geistesverwandten gesehen. Jemanden, der sich nicht mit Halbheiten zufriedengab und das elbische Ideal der Perfektion auch beim Aufbau Elbianas nicht aufgegeben hatte. Von ihm hatte Andir das Reiten gelernt und die Kunst, den Geist eines
Pferdes zu beeinflussen, sodass es einem willig gehorchte und fast mit dem eigenen Körper verschmolz.
In Candor hielt sich auch Lirandil der Fährtensucher auf. Er war gerade von einem Streifzug zurückgekehrt, der ihn ebenso durch die Berge Zylopiens geführt hatte wie durch das sich südlich daran anschließende Gebirgsland namens Hocherde. Dort war er auf Angehörige eines Gnomenvolks gestoßen, das offenbar seit sehr langer Zeit in völliger Abgeschiedenheit lebte. Lirandil hatte den Rückweg über die Küstenebene von Aratan genommen, wo er ein Gemetzel der Rhagar an einem der letzen nach Norden flüchtenden Zentauren-Clan allein durch sein Auftauchen verhindern konnte.
»Der Respekt, den diese Menschenbarbaren gegenüber uns Elben empfinden, ist aus der Furcht geboren«, glaubte Lirandil erkannt zu haben. »Ich prophezeie Euch, mein König, sobald sie diese Furcht verloren haben, wird sich die Ehrfurcht in Hass verwandeln. Ich kann Euch nicht sagen, wann das geschehen wird, aber früher oder später wird es so weit sein. Die Geschichten, die über unsere Fähigkeiten unter ihnen im Umlauf sind, werden immer fantastischer. Sie halten uns für unangreifbar und unverwundbar und glauben, dass bereits ein Gedanke eines Elben reicht, um einen der ihren zu töten. Aber der Widerspruch zur Realität ist so groß, dass er auch diesen einfältigen Barbaren irgendwann auffallen wird, und dann wird ihre Gesinnung umschlagen, und sie werden uns für völlig
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