Das Reich der Elben 01
wehr- und schutzlos halten.«
»Anscheinend habt Ihr sie sehr intensiv erforscht«, staunte
Keandir.
Lirandil nickte. »Das ist wahr. An der Küste von Aratan gibt es einen Ort, den die Rhagar Cadd nennen. Dort habe ich eine Weile unter ihnen gelebt und ihre Sprache erlernt. Sie nennen uns die Lichtgötter. Was ich auch tat, es schien nur zu noch größerer Verehrung zu führen. Beispielsweise verzichtete ich
für die Dauer meines Aufenthalts auf die Aufnahme von Nahrung, da mir die Art der Zubereitung ihrer Speisen zuwider war. Für die Rhagar kam es einem Wunder gleich, dass ich nicht verhungerte, denn sie selbst brauchen nahezu jeden Tag Nahrung. Derartige Beispiele lassen sich viele aufzählen.«
»Ich bin hier, um die Rhagar ein für alle Mal zu beeindrucken, sodass sie die Ebene von Aratan fluchtartig verlassen und nie wieder betreten werden!«, kündigte Keandir an.
»Mit Verlaub, mein König – dazu es zu spät«, erwiderte
Lirandil.
Eine senkrechte Furche erschien auf der Stirn des Königs.
»Zu spät?«
»Einschüchtern könnt Ihr die Rhagar natürlich, aber Ihr werdet sie kaum noch aus Aratan vertreiben können. Das Land ist sehr fruchtbar, und es siedeln einfach schon zu viele Barbaren in diesem Gebiet, als dass dies möglich wäre.«
»So soll es mir recht sein, dass sie Aratan behalten, aber die Grenzen von Elbara müssen sie respektieren – und das werde ich ihnen beibringen.«
»Ich werde Euch gern dabei helfen, mein König«, gab Lirandil zu verstehen. »Aber ich will Euch nicht zu sehr in Optimismus wiegen. Eine derartige Maßnahme mag für gewisse Zeit wirksam sein – aber auf die Dauer ist das keine Lösung.«
»Auf die Dauer müsste eine Mauer errichtet werden, die die Grenze Elbaras schützt und den Rhagar das Vordringen nach Norden abschneidet«, war Branagorns Meinung.
»Das müsste eine Mauer von wahrhaft gigantischen Ausmaßen sein«, schloss Waffenmeister Thamandor, der sich sogleich eher für die praktischen Aspekte interessierte. »Sie müsste von der Küste des Zwischenländischen Meeres bis zum zylopischen Gebirge verlaufen und mit zahlreichen Katapulten
gesichert werden. Allerdings müsste man sich etwas überlegen, um die Bedienungsmannschaften der Katapulte zu reduzieren, weil ich ansonsten kaum glaube, dass ausreichend Krieger zur Verfügung stehen, um einen derart langen Schutzwall dauerhaft zu bemannen.«
»Ließe sich mit den Zylopiern über einen solchen Wall
Einigkeit erzielen?«, fragte Keandir an Branagorn gewandt.
»Schließlich würde er nur dann Sinn machen, wenn er tatsächlich mit dem zylopischen Gebirge abschließt und dort kein Schlupfloch bliebe.«
»Dass die Riesen Zylopiens dagegen etwas einzuwenden hätten, kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Herzog Branagorn. »Wir leben in einer Form der Nachbarschaft mit ihnen, die man freundliche Gleichgültigkeit nennen könnte.«
Keandir wandte sich daraufhin an seinen Sohn Andir. »Ist es möglich, eine derartige Mauer mit Hilfe von Reboldirs Zauber zu erschaffen?«
»Prinzipiell ja«, erklärte der Magierprinz. »Allerdings brauche ich dafür die Unterstützung sämtlicher elbischer Schamanen und Magier. Aber selbst dann bleibt es fraglich, ob die vereinigte geistige Kraft dazu ausreichen wird…«
»Ich möchte, dass du es versuchst, mein Sohn. Damit sichern wir die Zukunft des Elbenreichs.«
»Ich werde Eurem Wunsch entsprechen, Vater«, versprach
Andir.
»Und morgen begeben wir uns zu diesem Ort, von dem Fährtensucher Lirandil gesprochen hat und den die Barbaren Cadd nennen.«
Schon am nächsten Tag stach die »Tharnawn« wieder in See. Kapitän Garanthor ließ das Flaggschiff der Elben Richtung
Südwesten die Küste Elbaras entlangsegeln, bis sie die flache
Küstenebene erreichten, die Aratan genannt wurde.
Während Herzog Branagorn in seiner Residenz auf Burg Candor blieb, begleitete Lirandil der Fährtensucher seinen König – in erster Linie deshalb, damit jemand Keandirs Worte in die Sprache der Rhagar übersetzen konnte.
»Ich hoffe, Euer Sinn für Fährten verlässt Euch nicht hier draußen auf See«, sagte Keandir zu dem uralten Fährtensucher. Dieser bemerkte den leisen Spott im Tonfall des Königs durchaus. »Wir segeln nahe der Küste, und da ist der Geruch des Landes immer noch sehr stark«, erklärte er. »Außerdem können wir Cadd nicht verfehlen. Es müssen einzelne Rhagar bereits bis Candor oder Albaree in Elbara vorgedrungen sein und im Geheimen die Kunst elbischer Baumeister bewundert haben.
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