Das Reich der Elben 01
um das Bein des Elben dann umso fester zu packen und ihn weiter mit sich zu schleifen – hinein in das dunkle Wasser, in dem die Schattenkreatur hauste.
Der Elbenkönig nahm all seine Kraft zusammen. Seine Linke umklammerte den bernsteinbesetzten Schwertgriff. Trolltöter wirbelte durch die Luft, und die scharfe Klinge traf genau dort, wo sich das Gelenk jener Schere befand, die Keandirs Unterschenkel in ihren erbarmungslosen Griff genommen hatte.
Sofort setzte Keandir einen zweiten Hieb hinterher, an dieselbe Stelle.
Das Gelenk brach. Der vordere Teil der Schere wurde abgetrennt. Keandir spürte, wie sich der schmerzhafte Druck auf sein Bein verringerte. Das Ungeheuer wich zurück, und nun ging Keandir seinerseits zum Angriff über.
Er stand auf und ignorierte den Schmerz in seinem Bein. Bis zu den Waden stand er im dunklen Wasser, dessen fauliger Geruch sich mit dem stehenden Atem des Riesenkrebses mischte; der Gestank war für die empfindlichen Sinne des Elben nur schwer zu ertragen. Keandir würgte und kämpfte gegen einen Brechreiz an. Ein entschlossener Zug legte sich auf das Gesicht des Königs, er war vollkommen auf den Gegner konzentriert, der den Verlust der Schere offenbar noch nicht verwunden hatte. Der Krebs ruderte mit dem zurückgebliebenen Stumpf, aus dem schwarzes, zähflüssiges Blut quoll. Die Fresshöhle öffnete und schloss sich, ohne einen Ton hervorzubringen.
Keandir watete auf den Krebs zu. Bald stand er bis über die Knie im Wasser. Der Untergrund war sumpfig und gab nach. Wenn er länger als ein paar Herzschläge verharrte, bekam er Schwierigkeiten, die Füße wieder freizubekommen.
Mit ein paar schnellen Schritten näherte sich der Elbenkönig dem Monstrum und führte in rascher Folge eine Reihe kraftvoller Hiebe. Der Krebs wehrte sie so gut wie möglich ab. Langsam kehrte das Gefühl in den rechten Arm Keandirs zurück. Er versuchte, sich durch das immer intensiver werdende Kribbeln nicht ablenken zu lassen.
Das Monstrum wich in tieferes Wasser zurück. Keandir folgte ihm und stand bald bis zur Hüfte in der dunklen Flüssigkeit.
»Jetzt hast du Respekt vor mir, was?«, rief er. »Ich weiß nicht, welche dämonischen Kräfte in dir wirken – aber ich weiß eines: So leicht werde ich nicht zu deiner Beute werden!« Keandir wandte kurz den Kopf, denn er glaubte, in den Augenwinkeln eine Gestalt gesehen zu haben. Es war zwar nur ein Schatten an der Wand, aber er konnte nicht natürlichen Ursprungs sein. Die leuchtenden Steine erhellten die betreffende Stelle auf der Felswand, und doch war dort eine
Zone, die so dunkel war wie das Wasser des Schicksalssees. Der Schemen des Augenlosen…
Keandir glaubte seine Gestalt klar und deutlich zu erkennen. Der gedrungene Körper, die beiden Stäbe – einer mit einem geschrumpften Totenkopf an der Spitze, der andere mit einem geflügelten Affen aus Gold…
»Was ist das alles hier für Euch, Augenloser?«, rief Keandir.
»Ein Schauspiel, das Euch die Langeweile vertreiben soll? So seht denn, was für einen Respekt ich vor dem Schicksal habe!« Wütend startete er einen weiteren Angriff, doch das Monster konnte diesen Schwerthieb mit der noch vorhandenen Schere
abwehren.
Keandir blieb stehen, bewegte leicht den rechten Arm, ballte die Hand zur Faust und öffnete sie wieder.
Dann fasste er Trolltöter mit beiden Händen.
Mit dem scharfen Blick eines Elben fixierte er sein Ziel – und schlug zu. Er traf das zweite Scherengelenk, hackte es durch. Blitzschnell zog er das Schwert zurück. Die Hornschere war völlig abgetrennt worden und schwamm für ein paar Augenblicke auf dem dunklen Wasser, ehe sie darin versank.
Bevor sich der Krebs in noch tieferes Wasser zurückzuziehen vermochte, hieb Keandir beidhändig in die Lücke zwischen den Hornplatten. Aber diesmal zielte er auf die Augen. Mit einem Streich wollte er den Krebs blenden – wobei ihm nicht klar war, ob die wirklich für die Orientierung des Ungeheuers am wichtigsten waren.
Die Klinge fuhr in das weiche Fleisch. Schwarzes Blut rann an dem kalten Elbenstahl entlang. Feuerrote Blitze tanzten bis zum Schwertgriff und griffen auf die Arme und dann auf den gesamten Körper des Elben über. Ein Zittern durchlief ihn. Er konnte seine Bewegungen nicht mehr kontrollieren. Das schon bekannte Taubheitsgefühl begann sich – ausgehend von den Händen – in beiden Armen auszubreiten.
Gleichzeitig stieß der Riesenkrebs eine ätzende Giftwolke aus, die sich als feiner grüngelber Staub an die Klinge
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