Das Reich der Katzen (German Edition)
Gang, um einen angemessenen Abstand zu Ben zu schaffen. Aber er folgte
ihr, scharwenzelte um sie herum. Sein ungewohntes Verhalten machte sie nervös.
Onisha fauchte und versetzte ihm einen Tatzenhieb. Der Kater steckte ihn weg
wie nichts. Seine tiefgründigen, sherryfarbenen Augen ließen sie nicht eine
Sekunde los. Er hatte eine besondere Art, sie anzusehen, die Onisha tief unter
die Haut ging. Da war ehrliches Interesse, gemischt mit spöttischer Arroganz.
Ben war gewohnt zu bekommen, was er wollte. Doch eine Katze wie
Onisha war ihm noch nie begegnet. Sie waren die perfekten Gegensätze. Sie war
eine Lady und er ... er war ein Herumtreiber. Aber gerade das machte den
besonderen Reiz zwischen ihnen aus. Bisher hatte er die Nase über solche
Kätzinnen gerümpft, aber Onisha hatte etwas Besonderes. Sie besaß das Niveau,
das ihm fehlte. Und er wiederum die Kraft, die ihr fremd war.
Onisha spürte instinktiv, dass Ben einen unstillbaren Hunger nach
Leben und Liebe in sich trug. In ihm flammte eine ungeheure Energie. Sie umgab
ihn wie ein unsichtbarer Mantel. Auch für andere spürbar. Und er wurde nur
durch seinen Instinkt gelenkt.
»Onisha!« Seine Stimme klang warm und zärtlich. Sie war voller
Leben und sensibilisierte selbst ihre kleinste Körperzelle. Er trat dicht an
sie heran. Beugte seinen mächtigen Kopf über sie. Dann spürte sie seine raue
Zunge, die über ihren Nacken fuhr und an ihren Ohren verharrte. Onisha streckte
sich wohlig und schnurrte wie eine Nähmaschine. Ja, dachte sie verzückt, da
kommt Sascha von Hohenberg nicht mit. Und schloss die Augen.
Sollte Fleur Bens und Onishas Verschwinden bemerkt haben, war sie
so taktvoll, kein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren. Dafür handelte sich
Onisha einen giftigen Blick von Twinky ein, als sie am nächsten Morgen wieder
zurückkamen, aber das war ihr völlig egal. Bens Blick streifte sie warm und
erinnerungsträchtig und sie wusste, sie würde ihm auf Dauer verbunden bleiben.
»Seid ihr fit?«, fragte der rote Kater die anderen gut gelaunt.
»Sieh an, sieh an«, konnte sich Fleur nun doch nicht verkneifen.
»Was so ein Schäferstündchen doch alles bewirken kann. Unser Macho-Kater ist ja
blendend gelaunt.« Ihr Blick wanderte zu Onisha. »Hat er dir gestern seine
Briefmarkensammlung gezeigt?«
Onisha kicherte albern. »So kann man es auch ausdrücken.«
Ben ging geradewegs auf Rouven zu. »Wie geht es dir, mein
Freund?«, hörte Onisha ihn mit sorgenvoller Stimme fragen. Und auch diese Sorge
um das Wohlbefinden seines Freundes rührte sie. Es zeigte die andere Seite des
Rowdys: die weichere, sanftere.
Sie gingen wieder los. Allmählich quälte sie Hunger und vor allem
Durst. In dem engen Gang war die Luft zum Schneiden. Zu allem Überfluss
herrschte auch noch unerträgliche Hitze. Onisha hatte schon nach wenigen Metern
das Gefühl, als hinge ihr die Zunge bis zu den Pfoten hinab. Fleur, die mit
hängendem Kopf vor ihr her schlich, erging es nicht anders. Doch Onisha verkniff
sich jegliches Gejammer. Sie dachte an Rouven und die unsäglichen Qualen, die
der verletzte Kater klaglos aushielt. Er humpelte neben Fleur her und sagte
kein Sterbenswörtchen. Schnaufte nur ab und zu leise vor Anstrengung.
Und mit jedem Schritt, den er machte, wuchs Onishas Achtung vor
ihm.
HINTER KLOSTERMAUERN
Als Onisha schon dachte, sie könne keinen einzigen Schritt mehr
weitergehen, und auch Fleur und Twinky leise vor sich hin jammerten, sahen sie
einen winzigen hellen Punkt.
Das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels!
Sie mobilisierten ihre letzten Kraftreserven und liefen, nein
taumelten, dem Ende des Ganges entgegen, der steil nach oben ans Tageslicht und
somit zurück auf die Erde führte. Onisha stürmte als Erste hinaus und hielt die
Nase in die Luft. Atmete gierig den Sauerstoff ein. Rouven brach erschöpft
neben ihr zusammen, während Ben sofort die Gegend erkundete. Onisha staunte,
woher er die Kraft und Energie nahm, und gesellte sich zu Fleur, die mit ausgestreckten
Pfoten auf der Seite lag und im wahrsten Sinne des Wortes alle viere von sich
streckte. Onisha ließ sich neben sie plumpsen, legte ihren Kopf auf Fleurs
Bauch und schloss die Augen.
»Hey«, maulte Fleur halbherzig. »Was fällt dir ein? Ich bin doch
kein Kopfkissen.«
Onisha murmelte etwas Unverständliches und ließ ihren Kopf, wo er
war. Sie redete sich ein, einfach nicht mehr die Energie zu haben, ihn zu
heben, gar noch einmal zu verlagern.
Ben kam aufgeregt
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