Das Reich der Katzen (German Edition)
sagen. Wir haben eine Katze
von unvorstellbaren Ausmaßen gesehen, die sich vor unseren Augen in eine
attraktive Frau verwandelt hat ...«
»Lavina!«, keuchte Fleur.
»Lass ihn weiterreden!«, herrschte Onisha sie an.
Blackbird flatterte vom Rand des Brunnens auf den Boden und
hüpfte in kleinen staksigen Schritten vor Onisha und Fleur auf und ab. Onisha
hätte es niemals für möglich gehalten, einem Vogel seine Aufregung anzusehen,
aber Blackbird war der lebende Beweis. »Lavina hat sich erst auf dem Friedhof
herumgetrieben. Wir konnten von oben nicht so recht sehen, was sie dort wollte,
aber sie war ziemlich in Eile. Danach ist sie in der Kirche auf Nimmerwiedersehen
verschwunden.« Die Krähe ruckte einige Mal mit dem Kopf. »Möchte zu gerne
wissen, was sie dort verloren hat.« Er sah Ben an. »Der Friedhof und die
Kirche, an den beiden Punkten sollten wir ansetzen.«
»Blackbird hat Recht«, ließ Valentin verlauten.
Ihr kennt einander?, wäre es Onisha beinahe herausgerutscht, denn
der Vogel hatte Valentin seinen Namen nicht genannt. Aber sie verkniff sich im
allerletzten Moment die Bemerkung. Ihr Blick wanderte wieder zu Valentin. Das
Mondlicht schien auf seine schlanke Gestalt. Sein Fell hatte eine Farbe, als
habe man ihn mit Mousse au Chocolat bestrichen. Er war wirklich eine
Augenweide.
»Am besten teilen wir uns in zwei Gruppen auf«, schlug Corey vor.
»Wir durchforsten den Friedhof und sein Umfeld und Valentins Gruppe sieht sich
in der Nähe der Kirche um. Vielleicht entdeckt ihr ja irgendwie eine Möglichkeit
hineinzukommen. Blackbird, du könntest mit deinen Freunden die Sache aus der
Luft beobachten und uns warnen, sobald uns Gefahr droht. Sozusagen in der Luft
Schmiere stehen.« Corey lächelte schwach. Allgemeines Nicken um ihn herum.
»Also gut«, fuhr er fort. »Dann machen wir uns auf den Weg zum Friedhof.« Er
drehte sich suchend herum. »Wo ist Rocky?«
»Der hat den Namen Lavina gehört und ist schon wieder ohnmächtig
geworden« Twinky kicherte.
Sie erreichten den Friedhof in wenigen Minuten. Onisha und Ben
hatten sich von der Gruppe gelöst und waren schnurstracks auf den Obelisken
zugesteuert, betrachteten ihn von allen Seiten. Die prachtvollen Hieroglyphen waren
so klar und scharf, als wären sie erst vor wenigen Stunden eingemeißelt worden
und nicht vor über 3000 Jahren. Onisha schrie leise auf, als sie die Abbildung
der Frauengestalt mit dem Katzenkopf sah: Bastet.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Ben besorgt.
Onisha nickte. »Die Abbildung ...«, stotterte sie. »Das ist
Bastet. Ich habe sie schon einmal gesehen ...« Sie zögerte, weil sie Angst vor
Bens Reaktion hatte. »... allerdings im Traum.«
Ben reagierte völlig anders, als sie erwartet hatte. Er machte
sich nicht lustig über sie, wie sie befürchtet hatte, sondern sah sie ruhig an
und wandte nach einigen Minuten sein Gesicht wieder der gemeißelten Katzengöttin
zu. »Dann ist sie dir also auch erschienen«, sagte er leise.
Onisha stieß einen erstaunten Laut aus. »Dir etwa auch?«
Ben nickte. »Ich konnte jedoch ihr Gesicht nicht sehen. Aber ich
vermute, dass Fleur oder du ...« Nun zögerte er. »Eine von euch beiden muss
wirklich Bastets Nachfolgerin sein.«
»So ein Blödsinn!«, protestierte Onisha. »Wie kommst du denn
darauf?«
»Es gab da so einige Hinweise«, wich Ben ihr aus.
Onisha durchzuckte ein Gedanke. »Hast du mich deshalb immer vor
Twinky in Schutz genommen?«, fragte sie und spürte einen Kloß in ihrem Hals.
Bisher hatte es ihr geschmeichelt, dass Ben ihren Beschützer gespielt hatte. Es
würde aber ihrem Ego nicht sonderlich gut bekommen, wenn er es nur getan hätte,
weil er in ihr die mögliche Nachfolgerin Bastets sah.
»Ist es so?«, drängte sie.
»Zum Teil«, wich er aus. »Du ...«
»Hier seid ihr«, ertönte Fleurs Stimme hinter ihnen. Onisha hätte
die Freundin am liebsten sonst wohin gewünscht. Zu gern hätte sie erfahren, was
Ben ihr noch zu sagen hatte. Aber die Gelegenheit war vertan.
Fleur war ebenso aufgeregt über die Hieroglyphen und die
Katzengöttin auf dem Obelisken. »Da ist sie wieder«, sagte sie ehrfürchtig.
Doch Onisha gab keine Antwort. Sie dachte an Bens Worte. Die
Vorstellung, Fleur oder gar sie selbst könnte die Nachfolgerin der Göttin sein,
war derart abwegig, dass sie nahe daran war, Bens Verstand in Frage zu stellen.
Doch da war sie wieder, diese unheilvolle Stimme in ihr, die sich immer im
»rechten« Moment meldete. Warum zweifelst du an
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