Das Reich der Katzen (German Edition)
hat ja vielleicht einen Feldwebelton. Das kann ja heiter
werden«, entrüstete sich Ben und gab das Zeichen zum Aufbruch.
Ihr könntet euch locker Pfote und Flügel reichen, dachte Onisha
schadenfroh. Sagte aber nichts.
Als sie die ersten Klosterruinen erreichten, sprang plötzlich ein
schwarzer Schatten von einer Mauer. Onishas Herz machte vor Schreck einen
gewaltigen Satz. Das dunkle Etwas fauchte und fletschte die Zähne und zog wie
ein Panther immer enger werdende Kreise um die Katzengruppe. Dabei funkelte er
sie aus grünen Augenschlitzen feindselig an.
Als er bis auf wenige Schritte an sie herangekommen war, blieb er
stehen und machte einen Buckel, bei dem selbst Quasimodo neidisch geworden
wäre.
»Hey, Mann, was soll das Theater?«, fragte Ben großspurig. »Bist
du immer so mies drauf?« Wütendes Fauchen war die Antwort.
Onisha betrachtete den Angreifer. Es handelte sich um einen
besonders prachtvollen Havannakater. Sein braunschwarzes Fell glänzte wie
frisch gewachste Stiefel. So sauber und glänzend, dass man sich beinahe darin
spiegeln konnte. Der Kater fauchte erneut und blähte das Fell auf. Sein Schwanz
ragte wie ein statisch geladener Flötenreiniger in die Luft. Eindeutiges
männliches Imponiergehabe.
»Wen willst du hier beeindrucken, Mann?«, meldete sich Ben wieder
zu Wort. »Und wie heißt du überhaupt?« Er musterte den Kater aufmerksam, aber
distanziert. Das Funkeln in dessen Augen sprach eine sehr deutliche Sprache: Es
war wild und tückisch. Doch das beeindruckte Ben nicht die Bohne. »Ich habe
dich etwas gefragt. Ich weiß nicht, warum du hier den wilden Max markierst. Ist
dir noch nicht aufgefallen, dass wir in der Überzahl sind? Wir brauchen nur
zweimal zu husten und du gibst keinen Mucks mehr von dir. Also, ich frage dich
zum letzten Mal: Wie heißt du und warum führst du dich so auf? Von uns droht
dir nun wirklich keine Gefahr!«
Mit dem Kater ging eine deutliche Wandlung vor sich. Seine
Gesichtszüge entspannten sich zusehends, und er gab seine bedrohliche
Körperhaltung auf. Aber er behielt Onisha und ihre Freunde dennoch sorgsam im
Auge. »Ich wollte euch nur klarmachen, dass ihr erst gar nicht auf die Idee
kommen sollt, mich ...«
»Bist du immer so übertrieben misstrauisch?« Ben ließ sich nicht
aus der Ruhe bringen. »Das grenzt ja an Verfolgungswahn.«
»Wenn du erlebt hättest, was mir widerfahren ist, wärst du auch
so vorsichtig!«, zischte der Kater.
»Soooooo?«, fragte Ben. »Dann spann uns nicht auf die Folter und
erzähl uns, was du so Furchtbares erlebt hast. Vorher wäre es aber nicht
schlecht, wenn du uns endlich deinen Namen verraten würdest.«
»Ich heiße Valentin.« Er schien abzuwägen, ob es eine gute Idee
war, noch mehr auszuplaudern. Sein Blick blieb zweifelnd an Onisha hängen. Sie
setzte einen freundlichen Gesichtsausdruck auf und zwinkerte ihm zu. Das schien
ihn irgendwie zu beeindrucken. »Es geht ein Mörder um, der mir und meinen
Brüdern das Leben zur Hölle macht. Drei hat er schon ermordet. Und das in einer
Nacht.« »Drei?«, fragte Fleur erschrocken. »Wir haben nur einen gesehen.«
»Wen habt ihr gesehen?«, fragte Valentin alarmiert.
»Einen toten Mönch mit einer klaffenden Halswunde. Er war ein
ziemlicher Riese und ...«
»Das muss Bruder Ambrosius sein!«, entfuhr es Valentin
kummervoll. »Damit sind es schon vier.« Sein Blick streifte erneut Onisha und
fiel auf den Stein um ihren Hals. Sein Gesicht zeigte tiefes Erschrecken.
»Woher hast du den Stein der Weisen?«, krächzte er mit heiserer Stimme und
plötzlich kehrte das Misstrauen in seinen Blick zurück.
Onisha fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut. Die
argwöhnische Art, mit der er sie musterte, gefiel ihr nicht. »Fleur und ich
haben den Stein gefunden und ihn mitgenommen. Er war voller Blut. Wir vermuten,
dass er Ambrosius gehört hat.«
»Er hat ihm gehört!«, bestätigte Valentin.
Onisha tauschte mit Fleur einen bestürzten Blick. Bisher war es
nur eine Vermutung gewesen, dass der Lapis dem ermordeten Mönch gehört hatte,
aber nun, da Valentin ihre Vermutung bestätigte, kam es Onisha wie Leichenfledderei
vor. Sie hatten den Stein zwar nicht von Ambrosius’ Hals gezogen, aber es kam
ihr trotzdem so vor. Ich muss ihn wieder ablegen, dachte sie und versuchte die
Kette mit dem Stein vom Hals zu ziehen. Doch die saß so fest, als wäre sie angewachsen.
»Sie geht nicht mehr ab!«, rief sie bestürzt.
Valentin erschrak noch mehr. »Dann bist du
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