Das Reich der Katzen (German Edition)
seinen Worten? Wer sollte
sonst Bastets Nachfolgerin sein? Wer weiß, vielleicht seid ihr es sogar beide
zusammen? Ihr ergänzt euch vollkommen. Du, eine Katze von Adel mit Benehmen und
einem uralten Stammbaum, Fleur dagegen, mit ihrem schlanken Körperbau, dem
klassischen Gesicht und dem Mut eines ganzen Katzenvolkes. Ihr beide seid die
perfekten Anführerinnen. Und da ist noch Sachmet. Immerhin war Bastet nicht
allein. . Onisha fegte die Stimme und die Gedanken, die sie auslöste,
beiseite und rief lauter als beabsichtigt: »So ein Schwachsinn!«
Ben und Fleur sahen erst einander und dann sie an. »Was ist denn
in dich gefahren?«, wollte Fleur wissen.
»Du glaubst nicht, was Ben vom Stapel gelassen hat«, rettete sich
Onisha in eine Halbwahrheit, denn die Möglichkeit, die ihr die Stimme
zugeflüstert hatte, war noch verworrener als Bens These.
»Spann mich nicht auf die Folter!« Fleur war sichtlich ungeduldig.
Onisha legte eine dramatische Pause ein und holte tief Luft. »Ben
hat doch allen Ernstes behauptet, dass eine von uns Bastets Nachfolgerin ist.«
Fleur schaute eine Sekunde ziemlich dumm drein, warf dann den
Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen. Onisha dachte, jetzt ist sie
durchgeknallt. Aber da hatte sich Fleur bereits wieder etwas beruhigt. Sie warf
Ben einen Blick zu, der so viel sagte wie: Du bist wohl nicht ganz gar gekocht.
»Ist schon gut«, brummte Ben, dem das sichtlich peinlich war und
dessen Blick Onisha das Gefühl vermittelte, einen guten Freund verraten zu
haben. »Wir haben keine Zeit für Plaudereien. Wir sollten lieber versuchen,
hinter den Sinn der Schriftzeichen zu kommen.«
Sie hatten lange Zeit damit zugebracht, den Obelisken zu umrunden
und die Schriftzeichen zu entziffern. Als der Abend anbrach, gaben sie es auf.
Sie waren nicht viel weiter gekommen als vorher. Alles deutete darauf hin, dass
das Schwarze Kloster und die verstorbenen Mönche einen Schlüssel zu dem
Geheimnis um die Nachfolge der Katzengöttin darstellten. Die Stimme in Onisha
hatte sie immer deutlicher auf Sachmet hingewiesen. Doch von ihr hatte Onisha
noch nie etwas gehört. Wer war sie? In welchem Verhältnis stand sie zu Bastet?
»Wir müssen zurück«, gebot Ben schließlich. Fleur und Onisha
folgten ihm willig und trafen die anderen Katzen an der Friedhofsmauer.
»Und?«, rief Twinky ihnen neugierig entgegen. »Habt ihr etwas
entdeckt?«
Corey schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«
»Sonstige Vorkommnisse?«, wollte Ben wissen.
Corey schüttelte erneut den Kopf und warf dann Rocky einen viel
sagenden Blick zu. »Außer zwei kleinen Notfällen nichts.«
Sie gingen bis an das zerstörte Portal der alten Kirche heran.
Dort wartete bereits Valentin auf sie. Er wirkte irgendwie mächtiger und
größer. Und wieder war in seinen Augen etwas Menschliches, was Onisha schon
mehrfach darin gesehen hatte. Und das ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
»Nanu, ihr seid schon zurück?«, fragte er mit einem ironischen
Unterton in der Stimme.
»Schneller ging es nicht.« Onisha war etwas außer Atem. »Wir
haben versucht die Inschrift auf dem Obelisken zu entziffern. Aber es ist uns
leider nicht ...«
Gelungen, wollte sie sagen, wurde aber von Valentin unterbrochen.
»Das hättet ihr einfacher haben können. Warum habt ihr mich nicht gefragt?«
Onisha glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Und auch Fleur ging
es so. »Ist das dein Ernst? Wir vertun hier kostbare Zeit und du weißt, was die
Inschrift bedeutet?«, rief sie aufgebracht.
»In etwa«, gestand Valentin.
»Dann wird es allmählich Zeit, dass du es uns verrätst«, krächzte
es aus der Luft. Blackbird und seine Freunde ließen sich auf den Kirchenstufen
nieder.
Valentin seufzte. »Also gut, der Obelisk hält das fest, wonach
der Orden in diesem Kloster strebte: nach ewigem Leben. Natürlich nicht im
herkömmlichen Sinne. Die Anhänger Bastets glaubten an ein Leben nach dem Tod.
Sie waren der Meinung, dass sich die Seele unmöglich in einem Leben zur
Vollkommenheit entwickeln könne. Diese noch unvollkommene Seele würde nach dem
Tod in einer neuen physischen Hülle, einem neuen Körper, wiedergeboren, um so
die Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu erhalten. Dieser Kreislauf setzt sich
fort, bis die Seele die erstrebte Reinheit erhalten hat.«
So wie bei euch, hätte Onisha am liebsten gesagt. Aber sie hielt
sich zurück. Stattdessen fragte sie: »Ist es den Mönchen auch gelungen?«
Valentin sah sie mit seinen menschlichen
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