Das Reich der Katzen (German Edition)
Onisha
wollte gerade erleichtert aufatmen, als hinter ihr ein dumpfer Schrei die
Stille zerriß. Sie wirbelte herum. »Was war das? Wer war das?«
»Rocky ist in ein Erdloch gefallen«, schrie jemand. Onisha
vermutete, dass es Twinky war.
»Wie hat der Trottel das wieder angestellt?« Ben schüttelte den
Kopf, ging aber sofort in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.
Das Erdloch war tief und düster. Sie streckten alle ihre Köpfe
über den Rand und sahen Rocky wie ein Häufchen Elend von tief unten
heraufschauen. Bibbernd und angstschlotternd. Aber das war ja nichts
Ungewöhnliches.
»Bist du in Ordnung?«, wollte Fleur besorgt wissen. Rocky nickte
und setzte eine klägliche Miene auf. »Bevor du jetzt zu jammern anfängst,
möchte ich wissen, wie du es geschafft hast, dieses Megaloch zu übersehen«,
fuhr Fleur fort.
»Lasst uns lieber nachdenken, wie wir diesen ungeschickten Heini
wieder aus dem Loch kriegen!«, brummte Ben, konnte sich aber ein breites Grinsen
nicht verkneifen.
Valentin blickte sich suchend um. »Seht ihr irgendwo einen festen
Stock?« Als er die fragenden Gesichter um sich herum bemerkte, lächelte er.
»Den lassen wir in das Loch und Rocky kann daran heraufklettern.«
Twinky und Lucky waren es, die einen geeigneten Ast fanden,
hatten aber Schwierigkeiten, ihn abzutransportieren. Ben und Valentin halfen
ihnen und ließen den Ast vorsichtig in das Loch gleiten.
»Na los, Junge«, forderte Ben Rocky auf. »Schwing die Pfoten!«
Rocky holte tief Luft und begann im Schneckentempo
hochzuklettern. Balancierte mit steifen Schritten auf dem schmalen Ast.
Schwankte einige Male bedrohlich und hätte beinahe den Halt verloren. Onisha
hätte schwören können, kieselsteingroße Schweißperlen auf Rockys Stirn glänzen
zu sehen.
»Schau nicht nach unten!«, befahl Ben, als Rocky einen Blick
zurück in die Tiefe werfen wollte. Sein Gesicht verlor sichtlich an Farbe und
er drohte erneut abzustürzen. Mit einem spitzen Aufschrei klammerte er sich an
den Ast und hing dort wie ein Ertrinkender, der die viel zitierte rettende
Schiffsplanke umklammert. Ungeschickt und mit letzter Kraft schob er sich
bäuchlings näher, spähte dann erschöpft über den Rand des Erdlochs und plumpste
darüber. Der Spott, der über ihn hereinbrach, würde so schnell nicht versiegen.
Dessen war sich Rocky sicher. Aber in dem Moment, als er sein Hinterteil über
den Rand schob, war ihm das schnurzegal.
Valentin hatte Onisha einiges über Lavina erzählt. »Lavina ist
eine Jüngerin der Götter des Totenreichs und treibt nun mit anderen Magiern in
dem Tal der Träume ihr Unwesen. Sie ist eine Art Vampir. Einer der schlimmsten
Sorte, denn sie stiehlt ihren Opfern die Seele, ohne die sie an Kraft und Macht
verlöre. Doch Lavina will mehr. Sie will als Katzengöttin herrschen.« Das ist
es also, dachte Onisha. Lavina will Bastets unsterbliche Seele! Will ihr
Ansehen in den Schmutz ziehen.
»Ich schwöre, dass Lavina den Thron niemals besteigen wird. Koste
es, was es wolle.« Onisha blickte Valentin mit feierlichem Ernst an.
Der zögerte und begann dann: »Also gut, ich verrate dir, wie du
mit Lavina Kontakt aufnehmen kannst.«
Wenige Minuten später war Onisha um einiges klüger und wußte nun,
dass sie mit Lavina nur über ihre Traumwelt Kontakt aufnehmen konnte und dass
dabei Onishas Seele in Gefahr geraten könnte. Aber sie wollte das Risiko
eingehen. Sie besprach das alles mit Fleur und Ben und zog dabei auch die
Möglichkeit in Betracht, dass sie nicht zurückkehren würde.
»Das gefällt mir nicht. Wieso willst du dich unbedingt allein dem
Kampf stellen?«, wollte Fleur unwillig wissen. »Gemeinsam sind wir viel
stärker.«
Onisha wusste darauf keine rechte Antwort. Wie sollte sie ihren
Freunden auch erklären, dass die Stimme in ihr ihr die Gewissheit gab, dass sie
es schaffen konnte? »Du weißt doch, dass Lavina hauptsächlich dir und mir die
Träume schickt. Also können nur wir sie herausfordern«, antwortete sie leise.
»Und ich sehe keinen tieferen Sinn darin, dass wir uns beide in Gefahr begeben.
Denn wenn sie uns gleich beide auslöscht, ist sie dem Thron der Bastet einen
entscheidenden Schritt näher. Das Risiko wollen wir doch nicht eingehen.« Sie lächelte
Fleur aufmunternd zu. »Und vergiss nicht, immerhin trage ich den Stein
der Weisen.«
Fleur sah sie lange an und nickte dann stumm.
Als sich Onisha nach diesem Gespräch unter einem Baum
zusammenrollte, wusste sie, dass der Zeitpunkt
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