Das Reich der Katzen (German Edition)
Rocky vor sich
hin. Wohl aus zwei Gründe: Erstens rutschte er immer wieder auf dem
schlüpfrigen Boden aus und zweitens lugte bereits schon wieder ein Fitzelchen
seiner alten Feigheit hervor.
»Beschwer dich nicht dauernd. Das nervt«, wies ihn Twinky
zurecht. »Wir müssen alle durch diesen widerlichen Sumpf und mosern nicht vor
uns hin.«
»Ich beschwere mich ja gar nicht«, maulte Rocky. »Ich habe bloß
gottverdammte Angst.«
Dass er das so unverblümt zugab, nötigte Onisha dann doch Respekt
ab. »Wir haben alle Angst, Rocky«, sagte sie.
Aber der konnte sie nicht mehr hören. Seine Pfote hatte sich in
einer Wurzel verfangen und er ging zu Boden. Doch dieses Mal wurde er nicht
ohnmächtig.
Regen perlte in sanften Tränen vom Himmel. Onisha hatte das
Gefühl, als wasche er den allerletzten Rest ihres alten Leben von ihr ab. Sie
hatte ihren Freunden verschwiegen, dass Lavina ihr mittlerweile auch Tagträume
schickte. Sie begnügte sich nicht mehr mit den Nächten und versuchte Onisha
einer permanenten Gehirnwäsche zu unterziehen. Immer wieder hämmerte die
Magierin ihr ein: Leg den Stein der Weisen ab. Leg ihn ab!
Aber Onisha entzog sich dem mentalen Druck. Nein, dachte sie
störrisch, den Stein lege ich nicht ab.
NIEMALS!
Einige Stunden später bemerkte sie einen Schatten, der ihnen
folgte. Ein Schatten, der die Gestalt wechselte. Einmal wirkte er wie der einer
großen Katze, dann wiederum wie der einer schlanken Frau mit langem, wehendem
Haar. Onisha hatte gehofft, dass einer der Freunde den Schatten ebenfalls
wahrnahm. Zumindest Fleur. Aber anscheinend war er nur für sie sichtbar, denn
niemand sagte etwas oder äußerte sein Erstaunen. Onisha zweifelte nicht an der
Realität des Schattenwesens. Sie fühlte, dass es sie ständig begleitete. Dass
SIE sie ständig begleitete: Lavina, die Magierin aus dem Tal der Träume. Onisha
fragte sich ängstlich, wozu diese fähig war. Ob sie uns auch die Katzenfänger
geschickt hat?, fragte sie sich und wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit,
dass sie damit der Wahrheit ziemlich nahe kam. Sie wusste auch, dass sie nicht
länger zulassen durften, dass Lavina die Fäden in der Hand hielt. Die Magierin
hatte bisher immer den ersten Schritt gemacht. Und genau das war der
entscheidende Fehler gewesen.
Onisha lief an Valentins Seite und sah den Kater ernst an. »Ich
muss mit dir reden.«
»Ich weiß.«
Die knappe Antwort erstaunte sie, bis sie sich in Erinnerung
rief, dass er seherische Fähigkeiten hatte. »Kannst du mir helfen, mit Lavina
in Verbindung zu treten? Ich will sie zu einem Zweikampf herausfordern!«,
erklärte sie ohne Umschweife.
»Du willst was ?«, fragte Valentin fassungslos.
»Unser entscheidender Fehler war bisher, dass wir immer auf einen
Zug von Lavina gewartet und dann reagiert haben. Wir müssen den Spieß umdrehen,
sonst geben wir die wenigen Trümpfe, die wir haben, aus der Hand. Es ist immer
besser, der Jäger zu sein als der Gejagte.«
»Ich gebe dir zwar Recht«, räumte Valentin ein. »Aber die Sache
ist ziemlich gefährlich ...«
»Und was war es bisher? Immerhin sind zwei unserer Freunde
ermordet worden. Ich bin mittlerweile sicher, dass Lavina uns die Katzenfänger
auf den Hals gehetzt hat«, unterbrach ihn Onisha ungeduldig. »Willst du mir nun
helfen oder nicht? Lavina lässt mir ohnehin keine Wahl. Sie schickt mir
mittlerweile sogar schon Tagträume. Sie fordert mich ständig auf, ich solle den
Stein der Weisen ablegen. Also stellt er etwas dar, was sie als Bedrohung
ansieht. Vielleicht sind wir stärker, als wir denken.«
»Vielleicht!«, räumte Valentin ein.
»Du musst mir alles sagen, was du über Lavina und das Tal der
Träume weißt. Wenn wir sie besiegen wollen, müssen wir sie überrumpeln. Das ist
unsere einzige Möglichkeit. Wenn du uns also Informationen vorenthältst, dienst
du der Sache damit nicht.«
»Onisha hat Recht«, ertönte Bens Stimme hinter ihnen. Der Ben,
den sie alle kannten und schätzten. Die Starre, die seit Coreys Tod auf seinem
Gesicht gelegen hatte, war gewichen und hatte der alten Entschlossenheit Platz
gemacht. Nur in seinen Augen glomm eine ungewohnte Härte und er sagte mit
eisiger Stimme: »Ich werde Onisha helfen. Immerhin schuldet mir Lavina zwei
Leben!«
Dunst stieg in langen Schwaden wie aus einem Suppentopf auf.
Trotz der verminderten Sicht waren sie aufgebrochen. Sie hatten das Sumpfgebiet
unbeschadet hinter sich gelassen, was einem kleinen Wunder gleichkam.
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