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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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nun Erwartungen an ihn stellte, die ihn an den Rand seines Gewissens brachten. Laut knirschte der verharschte Schnee unter seinen Füßen, während Ragnar allmählich die Berge hinter sich ließ und sich der Ebene näherte. Devera – Ragnar führte das Pferd, um es zu entlasten – stapfte mit hängendem Kopf hinter ihm her. Doch ohne jegliche Vorwarnung riss das Tier den Kopf in die Höhe und machte einen Satz zur Seite. Nur mit Mühe gelang es Ragnar, mit seinen steifen Fingern die Zügel festzuhalten. Er zog das Schwert des Wächters, den die Rodhakan statt seiner geopfert hatten. Seine eigene Klinge, die ihm Schutz gegen die Rodhakan geboten hätte, hatte man ihm in Erborg weggenommen. Noch war der Tag jung, das Licht hinter den Nebeln der Ewigkeit leuchtete nur fahl und sanft am fernen Horizont. Devera starrte zu einem Gebüsch, die Nüstern des Tieres bebten. Offenbar witterte das Pferd Gefahr. Ragnar erwog, aufzusteigen und rasch fortzureiten, doch dazu war es zu spät. Ein Schatten wurde hinter dem Gebüsch sichtbar, manifestierte sich nach und nach.
    »Vater«, seufzte Ragnar erleichtert.
    Doch Devera wich schnaubend zurück.
    Lucas betrachtete ihn und die Stute abwartend. »Dein Pferd fürchtet mich.«
    »Ruhig, Devera, er tut dir nichts«, flüsterte er ihr zu, aber die Stute schnaubte heftig und tänzelte nervös auf der Stelle, daher stapfte er ein Stück seines Weges zurück und band Devera an einen Baum.
    Langsam näherte er sich seinem Vater, behielt dabei die Umgebung im Auge, aber wie es aussah, war Lucas allein. Mit einer gewissen Anspannung ließ Ragnar eine Umarmung geschehen, dann blickte er seinen Vater an.
    »Wohin des Weges, Ragnar?«
    »Ich muss … die anderen treffen.«
    Lucas’ Augen hielten ihn gefangen. »Sprich noch nicht mit ihnen. Sie sind nicht bereit zu verstehen, dass es Rodhakan wie mich gibt. Du musst sie behutsam darauf vorbereiten!«
    »Ja, sicher«, murmelte er. »Aber wenn du ihnen zeigen würdest, dass du nicht alle Taten der Rodhakan billigst, und den bevorstehenden Angriff auf das Bergvolk abwendest, würden sie vielleicht verstehen.«
    »Dennoch würden sie mir nicht trauen, könnten dies womöglich gar als List erachten.«
    Mit festem Griff packte Lucas ihn an den Schultern. Fest, aber trotzdem seltsam, er hatte beinahe das Gefühl, seine Energie würde dadurch schwinden, sein Arm an Kraft verlieren. Er spannte sich an, baute instinktiv einen Schutz um sich selbst auf, so wie sein Großvater es ihn gelehrt hatte. Da ließ Lucas ihn abrupt los, torkelte sogar ein Stück zurück.
    »Verzeih!« Unbehaglich rieb sich Ragnar die Schultern. »Fühlt es sich so an, wenn ihr einen Menschen tötet?«
    »So ähnlich«, entgegnete Lucas knapp, dann lächelte er wieder. »Ist das nicht wunderschön?« Seine Handbewegung umfasste die beginnende Ebene. »Ist es nicht so wie in Island im Winter? Wie damals, während der langen Nächte, wenn Eis, Schnee und Feuer unser Leben beherrschten.«
    »Ja, damals in Island«, stimmte Ragnar wehmütig zu. Wie auf Kommando fing es erneut zu schneien an.
    »Ragnar, erzähl mir, wie es war, als du den Pfad nach Elvancor geschaffen hast.«
    Schon wieder diese Sache. Ragnar versteifte sich, aber Lucas sah ihn freundlich an.
    »Ich möchte nur verstehen, wie du es getan hast. Sicher hast du den Menschen einen großen Gefallen getan, sie hierherzubringen.«
    »Ja, das mag sein.« Ragnar lehnte sich gegen den Stamm einer dicken Buche und begann, von den Menschen und Tieren zu berichten, die er unabsichtlich nach Elvancor gebracht hatte, und Lucas lauschte aufmerksam.
    Tief, fest und traumlos schlief Lena auf den Fellen, bis sie leise Stimmen weckten. Als sie auffuhr, stand Arihan vor Kians Bett. Noch immer wirkte Kian traurig, aber auch irgendwie erleichtert.
    »Ich danke dir, Arihan. Es bedeutet mir viel, dass du mir Ruvens Nachricht übermittelt hast.«
    »Auch das ist eine Aufgabe der Tuavinn.« Er verneigte sich leicht und ging hinaus.
    Lena streckte sich, gähnte herzhaft und wandte sich nun Kian zu. »Was hat er dir denn erzählt?«
    »Mein Bruder wollte mich wissen lassen, dass er mich liebt, und auch er hat verstanden, wie dumm und kindisch unsere ständigen Streitereien waren.«
    »Das ist schön, Kian.«
    Sie sahen sich in die Augen, Kian öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder und räusperte sich. »Du bist ein wunderbares Mädchen, Lena, und ich danke dir.« Aus seinen Worten sprach so viel Zärtlichkeit, dass ihr ganz seltsam zumute

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