Das Reich der Sieben Städte
sah, wie sich die Schlaufen abspulten. »Wie tief geht's nach unten?«
»Sieben oder acht Fuß«, sagte Heboric. »Und danach noch mal fünfzehn Fuß durch die Höhle, bis du das nächste Mal Luft holen kannst. Wirst du das schaffen, Mädchen?«
Ich werde es schaffen müssen.
Schwach drangen Schreie über den See; die letzten, Mitleid heischenden Schreie der brennenden Stadt. Es war so schnell geschehen, fast schon unauffällig – in einer einzigen Nacht hatte Schädelmulde ein blutiges Ende gefunden. Es wirkte alles so unecht.
Sie spürte einen Ruck am Seil.
»Du bist dran«, sagte Heboric. »Schlitz die Blase auf, lass sie sinken, und dann folge dem Seil.«
Sie nahm den Dolch anders in die Hand und stach zu. Luft zischte aus dem Schlitz, und die Blase begann, in sich zusammenzusinken. Das Wasser schien sie nach unten zu ziehen, als hätte es Hände. Sie holte noch einmal hektisch Luft, bevor sie untertauchte. Schon einen Augenblick später führte das Seil nicht mehr nach unten, sondern nach oben. Sie prallte gegen die glitschige Klippe. Der Dolch rutschte ihr aus den Fingern, als sie mit beiden Händen zupackte und sich am Seil entlangzog.
Die Höhle war ein Fleck aus pechschwarzer Dunkelheit, das Wasser bitterkalt. Schon jetzt schrien ihre Lungen nach Luft. Sie war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, kämpfte jedoch wild gegen das Gefühl an. Plötzlich war über ihr ein Schimmer reflektierten Lichts zu sehen. Ihr Mund füllte sich mit Wasser, und sie trat wild um sich, zog sich auf den Lichtschimmer zu.
Hände griffen nach unten, packten den umsäumten Kragen ihrer Tunika und zogen sie scheinbar ohne Anstrengung nach oben, in die Luft, ins Licht. Sie lag hustend auf harten, kalten Steinen. Eine Öldocht-Lampe glomm neben ihrem Kopf. Dahinter lehnten zwei mit Holzrahmen versehene Reiserucksäcke und mit Wasser gefüllte Blasen an der Wand.
»Du hast mein verdammtes Messer verloren, was?«
»Der Vermummte soll dich holen, Baudin!«
Er stieß sein grunzendes Lachen aus und richtete dann seine Aufmerksamkeit wieder darauf, das Seil einzuholen. Einen Augenblick später brach Heborics Kopf durch die schwarze Wasseroberfläche. Baudin zog den ehemaligen Priester auf das felsige Ufer.
»Oben muss es Ärger gegeben haben«, sagte der große Mann. »Unsere Vorräte sind hier runtergebracht worden.«
»Das sehe ich«, erwiderte Heboric, während er sich aufsetzte und keuchend wieder zu Atem zu kommen suchte.
»Am besten bleibt ihr beide hier, während ich mich mal umsehe«, sagte Baudin.
»In Ordnung. Dann los mit dir.«
Als Baudin schachtaufwärts verschwand, setzte Felisin sich auf. »Was für Ärger?«
Heboric zuckte die Achseln.
»Nein, nein, so einfach geht das nicht«, sagte sie. »Du hast doch einen Verdacht, oder?«
Er schnitt eine Grimasse. »Sawark hat gesagt: ›Schaut nach Süden.‹ «
»Ja, und?«
»Ja und nichts weiter, Mädchen. Wollen wir nicht einfach warten, bis Baudin wiederkommt?«
»Ich friere.«
»Wir haben keine weitere Kleidung mitgenommen. Nahrungsmittel und Wasser, ein paar Waffen, etwas zum Feueranmachen. Wir haben Decken, aber es ist besser, wenn die trocken bleiben.«
»Sie werden schnell genug wieder trocken sein«, schnappte sie und krabbelte zu einem der Bündel.
Wenige Minuten später kehrte Baudin zurück. Er hockte sich neben Heboric. Zitternd unter einer Decke liegend, beobachtete Felisin die beiden Männer. »Nein, Baudin«, sagte sie, als er dem früheren Priester etwas zuflüstern wollte, »sag es so laut, dass wir alle es hören können.«
Der große Mann warf Heboric einen Blick zu, doch dieser zuckte die Schultern.
»Dosin Pali ist dreißig Längen entfernt«, sagte Baudin, »und doch kann man einen Lichtschein sehen.«
Heboric runzelte die Stirn. »Aus dieser Entfernung könnte man noch nicht einmal einen Feuersturm sehen, Baudin.«
»Stimmt. Es ist auch kein Feuersturm. Es ist Zauberei, alter Mann. Ein Kampf zwischen Magiern.«
»Beim Atem des Vermummten«, murmelte Heboric. »Was muss das für ein Kampf sein!«
»Es ist so weit«, sagte Baudin mit grollender Stimme.
»Was ist so weit?«, wollte Felisin wissen.
»Das Reich der Sieben Städte hat sich erhoben. Dryjhna – der Wirbelwind ist gekommen.«
Das Boot war ungefähr dreizehn Fuß lang. Duiker zögerte lange, ehe er hinunterkletterte. Sechs Zoll Wasser schwappten unter den beiden flachen Brettern, die das Deck bildeten. Die Löcher in der Bordwand waren mit Lumpen zugestopft
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