Das Reich der Sieben Städte
erhoben.
Der Wiesel-Clan und die Fußsoldaten hatten sich auf dieser Seite der Brücke und des Kanals zu einer kompakten Linie zusammengezogen. Die Linie zuckte hin und her, als sich die auferstandenen Krieger durch ihre Reihen schoben; sie hoben einschneidige Schwerter – mineralische Ablagerungen hatten die Waffen beinahe formlos werden lassen – und marschierten auf die wogende Menge der Infanterie aus Hissar und Sialk zu. Aus dem Lachen war mittlerweile Gesang geworden, ein kehliges Schlachtlied.
Duiker und List befanden sich auf einer freien Fläche, die mit dampfenden, aufgebrochenen Erdhügeln übersät war; hinter ihnen waren die Flüchtlinge, die sich zurückzogen und sich zur Furt drängten, während die Nachhut vor ihnen endlich in der Lage war durchzuatmen, als die untoten Krieger auf ihre Feinde losgingen.
Nil, Neders Zwillingsbrüder, ritt einen großen Rotschimmel; er hetzte entlang der Linie hin und her, in einer Hand irgendeinen federverzierten knorrigen Knüppel, den er über dem Kopf schwenkte. Die untoten Krieger, die nah an ihm vorbeizogen, brüllten laut und schüttelten ihre Waffen zum Gruß – oder aus Dankbarkeit. Sie lachten, und der Junge stimmte in ihr Lachen ein.
Reloes aus Veteranen bestehende Infanterie brach unter dem heftigen Ansturm zusammen und wich zurück, wodurch sie mit der Horde zusammenstieß, die jetzt ihren Vormarsch verlangsamte.
»Wie kann das sein?«, fragte Duiker. »Beim Gewirr des Vermummten – das ist Nekromantie, und ...«
»Vielleicht sind sie nicht wirklich untot«, schlug List vor. »Vielleicht werden sie einfach nur vom Geist der Insel benutzt.«
Der Historiker schüttelte den Kopf. »Nein, zumindest nicht ausschließlich. Hör dir das Lachen an – und dieses Lied –, hörst du die Sprache? Die Seelen dieser Krieger sind erweckt worden. Diese Seelen müssen einst hier zurückgeblieben sein. Der Geist muss sie festgehalten haben, und er hat sie niemals freigelassen, dass sie zum Vermummten hätten gehen können. Wir werden für das hier bezahlen, Korporal. Jeder Einzelne von uns.«
Weitere Gestalten erhoben sich auf allen Seiten aus der Erde: Frauen, Kinder, Hunde. Viele Hunde trugen noch immer lederne Geschirre, zogen noch immer die Reste primitiver Schlitten hinter sich her. Die Frauen hielten die Kinder an die Brust gepresst, umklammerten die knöchernen Griffe breitklingiger Bronzemesser, die sie in die Kinder gestoßen hatten. Was hier wieder ans Licht kam, war das erstarrte Bild einer alten, unwiderruflichen Tragödie, als ein ganzer Stamm von den Händen unbekannter Feinde niedergemetzelt worden war – vor wie vielen Tausend Jahren ist das passiert, wie lange sind diese gefangenen Seelen in diesem entsetzlichen, herzzerreißenden Augenblick festgehalten worden? Und was jetzt? Sind sie dazu verdammt, diese ewige Qual noch einmal aufs Neue zu durchleben? »Der Vermummte möge ihnen Gnade schenken«, flüsterte Duiker tonlos. »Bitte, nimm sie zu dir. Nimm sie jetzt zu dir!«
Die Frauen waren in dem tödlichen Muster gefangen. Er sah, wie sie mit den Dolchen zustießen, sah die Kinder zucken und sich winden, hörte ihr kurzes Weinen. Er sah, wie danach die Frauen fielen, die Schädel von unsichtbaren Waffen zertrümmert – von Erinnerungen, die nur sie sehen ... und fühlen konnten. Die unbarmherzigen Hinrichtungen gingen weiter und immer weiter.
Nil hatte aufgehört, wie wild auf und ab zu reiten; er lenkte seinen Rotschimmel jetzt im Schritt auf die entsetzliche Szene zu. Unter seiner gebräunten Haut war der Junge krankhaft blass. Eine Stimme in Duikers Hinterkopf flüsterte ihm zu, dass der junge Waerloga mehr sehen konnte als alle anderen – oder genauer, als alle anderen, die noch am Leben waren. Der Kopf des Jungen wandte sich einmal in diese, dann in jene Richtung. Er verfolgte geisterhafte Mörder mit den Blicken und zuckte unter jedem tödlichen Hieb zusammen.
Der Historiker stolperte zu dem Jungen hinüber. Seine Beine fühlten sich so unbeholfen an wie hölzerne Krücken. Er griff nach oben und nahm dem Waerloga die Zügel aus den reglosen Händen. »Nil«, sagte er leise, »was siehst du?«
Der Junge blinzelte; dann senkte er langsam den Kopf und schaute Duiker in die Augen. »Was ist?«
»Du kannst es sehen. Wer tötet sie?«
»Wer?« Der Junge strich sich mit einer zitternden Hand über die Stirn. »Mitglieder ihres eigenen Volkes. Der Clan hatte sich gespalten, es gab zwei Rivalen um den Geweih-Thron. Es waren Verwandte,
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