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Das Reich der Sieben Städte

Das Reich der Sieben Städte

Titel: Das Reich der Sieben Städte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Unter der Oberfläche reagierte der Staub wie Wasser, raste durch Straßen und Gassen, in offene Torwege, unter Fußböden – und all dies geschah ungesehen in der ewigen Dunkelheit von Jen'rahb. An einem hellen Morgen, an dem ein Jahrestag der Herrschaft des Falah'd gefeiert werden sollte, zeigte das Geschehen Auswirkungen an der Oberfläche: Die Krone sackte in sich zusammen, Türme stürzten um, Kuppeln zerbarsten zu Wolken aus weißem Marmorstaub, und der Palast sackte ungleichmäßig ab – an einigen Stellen nicht mehr als ein paar Fuß, an anderen mehr als zwanzig Armspannen in die unterirdisch dahingleitenden Flüsse aus Staub.
    Beobachter in den tiefer gelegenen Vierteln der Stadt beschrieben das Ereignis. Es war, als ob eine unsichtbare, riesige Hand sich auf die Krone gelegt und um alle Gebäude zugleich geschlossen hätte, um sie zu zermalmen, während sie sie gleichzeitig in den Hügel rammte. Die Staubwolke, die an diesem Tag aufstieg, ließ die Sonne noch Tage später wie eine Kupferscheibe aussehen.
    Mehr als dreißigtausend Menschen starben an jenem Tag, unter ihnen auch der Falah'd, und von den dreitausend, die in seinem Palast gelebt und gearbeitet hatten, überlebte nur ein Einziger: ein Küchenjunge, der davon überzeugt war, dass der Becher, den er einen Augenblick vor dem Erdbeben hatte auf den Boden fallen lassen, Schuld an der ganzen Katastrophe war. Die Schuldgefühle machten ihn wahnsinnig, und er rammte sich selbst einen Dolch ins Herz, während er in der Unterstadt auf dem Merykra-Ring stand; die Pflastersteine, auf denen Fiedler jetzt stand, waren von seinem Blut getränkt.
    Der Sappeur hatte die blauen Augen zusammengekniffen und beobachtete eine berittene Schwadron Roter Klingen, die sich auf der anderen Seite des Rings rücksichtslos durch die auseinander spritzende Menge drängte.
    In ein dünnes Gewand aus gebleichtem Leinen gehüllt, die Kapuze in der Art der Gral-Stammeskrieger über den Kopf gezogen, stand er reglos auf dem geweihten Pflasterstein mit seiner verblassten Gedenkschrift und fragte sich, ob das rasende Hämmern seines Herzens laut genug war, dass die Menge, die rings um ihn nervös herumwimmelte, es hören konnte. Zuerst verfluchte er sich selbst dafür, einen Spaziergang durch die alte Stadt zu riskieren, dann verfluchte er Kalam dafür, dass er ihre Abreise hinausgeschoben hatte, bis es ihm gelungen war, Kontakt mit einem seiner alten Agenten in der Stadt aufzunehmen.
    »Mezla'ebdin!«, zischte eine Stimme nicht weit von ihm.
    Malazanische Schoßhunde lautete die ausreichend genaue Übersetzung. Die Roten Klingen rekrutierten sich aus Einheimischen aus dem Reich der Sieben Städte, doch sie bekannten sich zu absoluter Loyalität gegenüber der Imperatrix. Sie waren Pragmatiker, eine Eigenschaft, die in diesem Land fanatischer Träumer nicht nur äußerst selten, sondern im Augenblick auch höchst unwillkommen war, und hatten in der für sie typischen Weise – das hieß mit Schwertklinge und Lanze – gerade damit begonnen, auf eigene Faust hart gegen die Anhänger Dryjhnas vorzugehen.
    Ein halbes Dutzend Opfer lag reglos inmitten eines Durcheinanders aus zerbrochenen Körben, Kleiderbündeln und allen möglichen Lebensmitteln auf den ausgebleichten Steinen des Rings. In der Nähe des ausgetrockneten Brunnens kauerten zwei kleine Mädchen neben dem Leichnam einer Frau. Die umliegenden Mauern waren von Blutspritzern übersät. Einige Straßen entfernt erklangen die Alarmglocken der Stadtwache; Ehrlitans Faust war wohl gerade darüber informiert worden, dass die Roten Klingen sich einmal mehr über ihre ungeschickte Herrschaft hinweggesetzt hatten.
    Die wilden Reiter setzten ihr improvisiertes, willkürliches Gemetzel auf einer Hauptstraße fort, die vom Ring wegführte, und waren schon bald außer Sicht. Noch während die ersten klagenden Stimmen ertönten, machten sich auch schon Bettler und Diebe über die reglos daliegenden Menschen her, die von den Roten Klingen gefällt worden waren. Ein buckliger Zuhälter packte die beiden Mädchen und verschwand humpelnd in einer Seitengasse.
    Ein paar Minuten eher wäre Fiedler beinahe der Schädel gespalten worden, denn als er den Ring betreten hatte, war er einem der Berittenen genau in den Weg gelaufen. Die Erfahrung seines langen Soldatenlebens hatte ihn den Kurs des Pferdes kreuzen lassen, um den Krieger dadurch zu zwingen, sein Schwert zu seiner Schildseite hin zu schwingen, und ein letztes Wegducken unter dem

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