Das Reich des Lichts
sie haben mit den Ausgrabungen im Hof begonnen. Die Archäologen graben immer mehr mittelalterliche Kunstschätze aus. Angeblich soll Mercurio entlassen werden. Aber am meisten wird über dich geredet. Horacio hört nicht auf, über dich herzuziehen.“
„Und was sagt er?“
„Das Übliche. Er verbreitet, dass du etwas mit der Explosion zu tun hattest. Er sei an dem besagten Abend mit dir zusammen gewesen und habe alles mitgekriegt.“
„Aber warum erzählt er das? Das stimmt doch gar nicht!“
„Ich weiß, aber seine Freunde bestätigen es. Sie sagen, sie wären ebenfalls dabei gewesen.“
„Und die anderen glauben das?“, frage ich fassungslos.
„Nicht alle, einige sind skeptisch. Deswegen wäre es besser, wenn du zurückkommst und dich verteidigst“, rät er mir.
„Ich gehe erst wieder in die Schule, wenn ich meine Probleme gelöst habe … Übrigens, wie läuft es mit Mireia? Kommst du voran oder nicht?“
„Sie behandelt mich wie ein kleines Kind. Eigentlich beachtet sie mich überhaupt nicht.“
„Das tut mir leid.“
„Egal, ich bin das ja gewohnt … Und, wie war’s mit meinem Vater und seinem Freund? Hat es dir was genützt?“
„Sie helfen mir, mich zu erinnern. Aber es ist noch zu früh, um zu sagen, ob es was nützt. Mit Doktor Bern geht es vielleicht schneller. Jetzt wollen sie mich hypnotisieren.“
„Wirklich? Cool.“
„Ich muss es mir noch überlegen. Du darfst niemandem etwas davon erzählen, hörst du?“
„Mein Vater sagt immer, Hypnose sei die beste Technik, um ins Unbewusste vorzudringen.“
„Das genau ist das Problem. Ich will nämlich nur was über meine Träume erfahren, nicht über mein Unbewusstes.“
„Das ist doch dasselbe“, behauptet Cristóbal. „Die Träume kommen aus dem Unbewussten, das hat mir mein Vater oft erklärt.“
„Dann kann ich ja auch gleich wieder zu einer Wahrsagerin gehen!“, lache ich. „Bei der weiß ich wenigstens, dass das, was sie mir aus den Karten liest, nicht real ist. Und das finde ich sehr beruhigend.“
IX
D AS N EST DER H EXENMEISTER
D IE LETZTEN S ONNENSTRAHLEN verloren bereits ihre Kraft, als Arturo und seine Freunde auf einen Weg einbogen, von dem aus man die makabren Umrisse der Festung von König Rugiano erkennen konnte. Mit ihren spitzen Zinnen, gewundenen Türmen und schroffen, abweisenden Mauern schien sie aus einem schlimmen Albtraum zu stammen. Sie glich einem trostlosen Friedhof, strahlte jedoch gleichzeitig Gefahr aus.
Die Festung stand auf einem steilen Felsenhügel und hob sich krass gegen den orangefarbenen Himmel ab. Ein düsteres Bild. Unterhalb, an den Ufern eines Flusses, standen einige wenige Häuser.
„Dieses elende Dorf heißt Coaglius“, klärte Horacles sie auf. „Ein verkommener Ort.“
„Hoffentlich können wir heute Nacht irgendwo unterkommen“, sagte Crispín, nachdem er Arturo berichtet hatte, was er sah.
„Es muss doch eine Herberge geben“, erwiderte der blinde Ritter.
„Ja, wir sollten uns unbedingt ausruhen“, pflichtete ihm Amedia bei. „Wir sind mit allem zufrieden, und wenn wir nichts finden, müssen wir eben im Freien schlafen.“
Am Wegesrand lagerten mehrere Menschengruppen, die sich an offenen Feuern wärmten. Wer keinen Karren besaß, auf dem er sich verkriechen konnte, hatte mit Stoffbahnen und Decken ein provisorisches Zelt errichtet, um sich vor der Kälte und dem Dauerregen zu schützen.
„Es ist nicht normal, so viele Menschen unter freiem Himmel zu sehen“, bemerkte Crispín. „Wirklich ein seltsames Land.“
Je näher sie kamen, desto mehr Gruppen konnten sie erkennen. Ganze Familien kauerten unter den Bäumen oder dicht an den Felsen. Am Flussufer reihte sich eine unendliche Schar von Menschen aneinander. Vor einige Zelten hatten sich lange Schlangen gebildet. Menschen, die Hühner, Schafe oder andere wertvolle Dinge auf dem Arm trugen.
„Sieht aus wie ein Markt“, sagte Crispín, „als ob diese Leute etwas kaufen oder verkaufen wollten …“
„Sie warten vor den Zelten der Hexenmeister“, erklärte Horacles. „Sie bezahlen mit Tieren oder Gegenständen dafür, dass sie von der Hexerei befreit werden.“
„Und von den Erdbeben“, ergänzte Dédalus.
„Niemand kann vor Erdbeben sicher sein“, sagte Crispín. „Anscheinend kommen sie von sehr weit her. Sie gehören nicht zum Königreich.“
„Die Hexenmeister sind schon seit Langem hier“, fuhr Horacles fort. „Sie haben diesen Landstrich unterworfen. Ich weiß, wovon ich
Weitere Kostenlose Bücher