Das Reigate-Rätsel
das hat ihm nicht gefallen. So hat er ihn zum Butler erhoben. Das ganze Haus schien seiner Gnade ausgeliefert zu sein. Er spazierte im ganzen Haus herum und tat nur, was ihm selber gefiel. Die Mädchen beklagten sich, weil er ständig betrunken war und sich in dem Zustand ihnen gegenüber schlecht benahm. Vater erhöhte ihren Lohn, um so auf seine Weise wieder gut zu machen, was Hudson anrichtete. Der Kerl nahm unser Boot und Vaters bestes Gewehr und amüsierte sich auf der Jagd. Dabei hatte er ständig dieses bösartige, hinterhältige Grinsen im Gesicht. Ich war wohl zwanzigmal am Tag versucht, ihn einfach niederzuschlagen, wenn er nur ein Mann meines Alters gewesen wäre. Ich sage dir, Holmes, an manchen Tagen habe ich mich wirklich sehr zusammennehmen müssen. Und nun frage ich mich, ob ich mich manchmal nicht ruhig ein bißchen mehr hätte gehen lassen sollen.
Vielleicht wäre das besser für uns alle gewesen. Nun ja, bei uns wurde es immer schlimmer.
Dieser Kerl maßte sich täglich neue Rechte an. Eines Tages bedachte er meinen Vater in meiner Gegenwart mit solch beleidigenden Reden, daß ich ihn an der Schulter packte und ihn zur Tür hinausbeförderte. Er schlich davon, aschfahl und mit so bösartig glitzernden Augen, daß sie mehr Drohung ausdrückten, als seine Zunge es hätte tun können. Ich weiß nicht, was später zwischen ihm und meinem Vater vorging, aber mein Vater kam am nächsten Tag zu mir und bat mich, ich solle mich bei Hudson entschuldigen. Du kannst dir wohl denken, daß ich das rundheraus abgelehnt habe, im Gegenteil fragte ich meinen Vater, wie er denn ein solches Miststück in unserem Haushalt dulden könne und woher der Kerl das Recht hätte, sich derartig zu betragen.
>Ach, mein Junge<, seufzte mein Vater, >du hast gut reden. Wenn du nur wüßtest, in was für einer elenden Lage ich mich befinde. Aber du sollst es erfahren, Victor. Ich werde dafür sorgen, daß du alles erfährst, komme, was wolle. Du de nkst nicht schlecht von deinem alten Vater, nicht wahr, mein Junge?< Er war sehr bewegt. Nach diesem Gespräch schloß er sich für den Rest des Tages in seinem Arbeitszimmer ein. Durch das Fenster konnte ich sehen, daß er eifrig schrieb.
Am Abend dieses Tages geschah etwas, was mir zunächst als große Erleichterung erschien.
Hudson verkündete, er wolle uns verlassen. Er kam ins Eßzimmer, wo wir uns nach dem Dinner noch aufhielten, und machte uns diese Ankündigung mit der schweren Zunge eines Halbbetrunkenen. >Ich habe genug von Norfolk<, sagte er. >Ich werde nach Hampshire fahren, zu Beddoes. Sicherlich freut er sich genauso, wenn ich ihn besuche, wie ihr hier.<
>Ich hoffe, daß du uns nicht mit unguten Gefühlen verläßt<, sagte mein Vater so mild, daß in mir das Blut zu kochen begann. >Er hat sich noch nicht bei mir entschuldigt, knurrte er und sah mich aufsässig an.
>Victor, du wirst dich entschuldigen, denn du hast diesen guten Mann sehr rauh behandelt<, wandte sich mein Vater an mich. >Im Gegenteil, ich glaube, daß wir beide eine ganz ungeheure Geduld mit ihm gehabt haben<, antwortete ich.
>Oh, meinst du, meinst du!< zischte er. >Das werden wir ja sehen!, Er schlurfte aus dem Zimmer, und nach einer halben Stunde hatte er das Haus verlassen. Statt erleichtert zu sein, befand sich jetzt aber mein Vater in einem Zustand mitleidigerregter Nervosität. Abend für Abend hörte ich ihn in seinem Zimmer herumgehen. Schließlich beruhigte er sich jedoch ein wenig. Und da kam der letzte Schlag.<
>Wie denn?< fragte ich aufgeregt.
>Auf die allermerkwürdigste Art. Gestern Abend traf ein Brief für meinen Vater ein mit einer Briefmarke aus Fordingham. Als mein Vater ihn gelesen hatte, schlug er beide Hände vors Gesicht. Dann lief er im Kreis herum wie einer, der den Verstand verloren hat. Schließlich gelang es mir, ihn auf das Sofa zu betten. Sein Mund und die Augenlider waren zu einer Seite hingezogen. Er hatte einen Schlaganfall bekommen. Dr. Fordham kam sofort zu uns herüber.
Gemeinsam brachten wir ihn zu Bett. Inzwischen hat sic h die Lähmung jedoch ausgebreitet.
Bisher hat es auch noch keine Anzeichen dafür gegeben, daß er das Bewußtsein wiedererlangt.
Ich fürchte, daß wir ihn vielleicht nicht mehr lebend vorfinden.<
>Du erschreckst mich, Trevor<, rief ich. >Was kann denn nur der Inhalt des Briefes gewesen sein, daß er so furchtbare Folgen hatte?<
>Nichts! Das ist ja gerade das Unerklärliche. Die Botschaft war banal und unverständlich. - O
mein Gott, es
Weitere Kostenlose Bücher