Das Reigate-Rätsel
meine Hacken abgesehen.
Der Anfang unserer Freundschaft war also recht prosaisch, aber sie lief dann doch recht gut. Zehn Tage lang mußte ich das Bett hüten, und Trevor besuchte mich jeden Tag. Am ersten Tag plauderten wir vielleicht fünf Minuten zusammen. Aber seine Besuche wurden länger, und bevor das Semester zu Ende ging, waren wir Freunde geworden. Er war ein herzhafter, temperamentvoller Charakter, mit viel Feuer und großer Energie ausgestattet. Zwar waren seine Ansichten oft das ganze Gegenteil von meinen, aber wir hatten auch vieles gemeinsam. Ich fand heraus, daß er genauso einsam war wie ich, und allein das war ein starkes Band. Schließlich lud er mich zu sich nach Hause, auf das Gut seines Vaters in Donnithorpe in Norfolk, ein. Diese Gastfreundschaft nahm ich für einen Monat in den langen Ferien gerne an. Der alte Trevor schien recht vermögend, ja reich zu sein. Donnithorpe ist ein kleines Dörfchen nördlich von Langmere, im Lande der Broads. Das Haus war alt und sehr geräumig. Es war aus Eichengebälk und Ziegelsteinen erbaut. Eine herrliche Limonenallee führte zum Haus. Auf dem Gutsgelände konnte man wilde Enten schießen, es gab Möglichkeiten zu fischen, und es gab eine kleine, erlesene Bibliothek im Haus, die, wie man mir erzählte, vom Vorbesitzer hinterlassen worden war. Auch der Koch war in Ordnung. Es müßte scho n ein sehr merkwürdiger Kauz sein, der es sich hier nicht vier Wochen lang wohlsein lassen konnte.
Trevor Senior war Witwer, und mein Freund war sein einziger Sohn. Es war auch eine Tochter vorhanden gewesen, aber sie war während einer Besuchsreise nach Birmingham an Diphtherie gestorben. Der Vater interessierte mich sehr. Besonders kultiviert war er nicht, wohl aber in jeder Beziehung, körperlich wie seelisch, sehr stark. Er hatte kaum ein Buch gelesen, war dafür aber weit gereist, hatte viel von der Welt gesehen und erinnerte sich an alles, was er gesehen hatte. Er war ein breit gebauter, kräftiger Mann mit vollem, grauweiß meliertem Haar und einem braunen, wettergegerbten Gesicht. Dazu hatte er Augen von einem so intensiven Blau, daß sie fast wild wirkten. Und doch hatte er in der Gegend den Ruf, sehr freundlich und mildherzig zu sein. Wenn er Recht sprechen mußte, dann war er für seine milden Urteile bekannt. Eines Abends, kurz nach meiner Ankunft, saßen wir nach dem Essen noch bei einem Glas Portwein beisammen. Plötzlich begann der junge Trevor seinem Vater von meinem Studium des Beobachtens und der Schlußfolgerung zu erzählen, das ich schon damals systematisiert hatte, obgleich ich noch nicht wußte, wie und ob ich es berufsmäßig einsetzen würde. Der alte Mann glaubte ganz offensichtlich, daß sein Sohn, der ein paar einfachere Begebenheiten berichtete, die mein Können bewiesen, übertrieb.
>Nun hören Sie mal, Mr. Holmes<, sagte er lachend und gutgelaunt. >Ich bin ein ausgezeichnetes Versuchsobjekt. Schlußfo lgern Sie doch einmal an mir.<
>Ich fürchte, Sir, bei Ihnen läßt sich nicht viel finden, sagte ich bescheiden. >Höchstens sehe ich dies eine, daß Sie in den letzten zwölf Monaten Sorge gehabt haben, jemand könnte Sie physisch angreifen.<
Das Lachen auf seinen Lippen erstarb, und er starrte mich voll Verwunderung an. >Ja, das stimmt allerdings<, sagte er. >Weißt du noch, Victor<, wandte er sich an seinen Sohn, >als wir damals die Wilderer erwischten, da schworen sie, sie würden uns eines Tages erstechen. Sir Edward Holly ist auch wirklich tätlich angegriffen worden. Ich habe inzwischen gut auf mich aufgepaßt, aber ich habe keine Ahnung, woher Sie das wissen können.<
>Sie besitzen einen recht ansehnlichen Stock<, antwortete ich ihm, >aus dem eingeritzten Datum geht hervor, daß er nicht länger als ein Jahr in Ihrem Besitz ist. Aber Sie haben sich der Mühe unterzogen, Löcher in den Knauf zu bohren und Blei hineinzugießen; damit haben Sie wirklich eine handfeste Waffe. Ich sage mir, daß Sie sich nicht eine solche Mühe machen würden, wenn Sie nicht tatsächlich Sorge um Ihr Leben hätten.<
>Noch etwas?< fragte er lächelnd.
>In Ihrer Jugend haben Sie sehr viel geboxt.<
>Wieder richtig. Wie haben Sie das herausgefunden? Ist meine Nase ein bißchen aus der Richtung geraten?<
>Nein, Sir, bei Ihnen sind es die Ohren. Sie haben die typischen Verdickungen und daneben die flachen Stellen, die einen Boxer kennzeichnen.<
>Noch etwas?<
>Sie haben in Ihrem Leben ziemlich viel gegraben.<
>Ich habe mein ganzes Vermögen in Goldminen
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