Das Reigate-Rätsel
tun. Wie er so auf dem Rasen auf uns zuschlurfte, hörte ich plötzlich von Mr. Trevor neben mir ein gurgelndes Geräusch.
Einen Augenblick später war er aus seiner bequemen Lage aufgesprungen und auf das Haus zugelaufen. Zwar kam er gleich darauf wieder zu uns, aber er roch, als habe er einen kräftigen Schluck aus der Brandyflasche genommen.
Der Seemann stand da, immer noch das gleiche verkniffene Lächeln um den Mund, und sah ihn an.
>Sie erkennen mich wohl nicht wieder?<
>Ja, du liebe Zeit, wenn Sie nicht Hudson sind--<, sagte Mr. Trevor in überraschtem Ton.
>Es ist wirklich der alte Hudson, Sir<, sagte der Seemann. >Und es ist mehr als dreißig Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Und hier leben Sie in Ihrem schönen eigenen Haus, und ich picke mir immer noch mein Salzfleisch aus der Tonne.<
>Na, na, du wirst merken, daß ich die alten Zeiten nicht vergessen habe<, sagte Trevor, ging auf den Seemann zu und flüsterte ihm leise etwas ins Ohr. >Geh in die Küche, man wird dir zu essen und zu trinken geben. Es wird sich wohl auch eine Stellung für dich finden lassen.<
>Vielen Dank, Sir<, sagte der Seemann und hob die Hand an die Stirn. >Ich habe gerade eine Reise von zwei Jahren auf einem Acht-Knoten-Pott hinter mir. Ich brauche Ruhe. Und die kriege ich entweder von Mr. Beddoes oder von Ihnen.<
>Ah<, rief Mr. Trevor, >du weißt, wo Mr. Beddoes ist?<
>Himmel, Sir, ich weiß meine alten Freunde wohl zu finden<, sagte der Kerl mit bösartigem Lächeln und schlurfte hinter dem Mädchen her zur Küche. Mr. Trevor murmelte etwas davon, daß dies ein alter Kamerad aus seiner Seefahrerzeit sei, den er getroffen habe, als er auf der Reise zu den Goldminen war. Darauf ging er ins Haus. Als wir ihm wohl eine Stunde später ins Haus folgten, lag er auf dem Sofa im Eßzimmer - sternhagelvoll betrunken.
Dieser Zwischenfall hatte einen recht häßlichen Eindruck in meinem Innern hinterlassen. Es tat mir nicht mehr leid, Donnithorpe am nächsten Tag zu verlassen. Ich fühlte, wie peinlich meinem Freund meine Gegenwart sein mußte.
All dies war während des ersten Ferienmonats geschehen. Ich zog wieder in meine Londoner Wohnung. Die nächsten sieben Wochen verbrachte ich mit Experimenten in organischer Chemie.
Eine Tages, so gegen Ende der Ferien, erhielt ich ein Telegramm von meinem Freund, in dem er mich bat, eiligst nach Donnithorpe zurückzukehren. Er bedürfe dringend meines Rates und meiner Hilfe. Natürlich ließ ich alles stehen und liegen und reiste in den Norden.
Mit seinem Einspänner holte er mich vom Bahnhof ab. Schon auf den ersten Blick war klar, daß die letzten zwei Monate eine harte Zeit für ihn gewesen waren. Sein Gesicht war schmal und sorgenvoll. Nichts war mehr von seiner lauten, sorglos vergnügten Art zu spür en.
>Mein alter Herr liegt im Sterben<, waren die Worte, mit denen er mich begrüßte.
>Unmöglich<, rief ich, >wie kann das zugehen?<
>Schlaganfall! Schockreaktionen! Heute hat sich sein Zustand noch verschlechtert. Wer weiß, ob wir ihn noch lebend antreffe n. <
Sie können sich vorstellen, Watson, wie sehr mich diese plötzliche Nachricht erschütterte.
>Was war die Ursache?< fragte ich.
>Ah, das ist ja gerade die Schwierigkeit! Los, steig ein, damit wir losfahren können. Reden können wir unterwegs. - Du erinnerst dich doch sicher an den Kerl, der am Tag vor deiner Abreise plötzlich auftauchte?<
>Ganz genau!<
>Hast du eine Ahnung, wen wir uns damals ins Haus geholt haben?<
>Ich kann es mir wirklich nicht denken.<
>Den Teufel in Person, Holmes.<
Ich starrte ihn verwundert an.
>Ja, Holmes, es war der Teufel selber. Mein Vater war immer ein stolzer Mann, der den Kopf hochgetragen hat. Und nun stirbt er, mit gebrochenem Herzen. Und alles wegen dieses verdammten Hudson!<
>Welche Macht hat er denn über deinen Vater?<
>Ah, ich würde viel geben, wenn ich das wüßte. Mein Vater war ein netter, großzügiger alter Herr. Wie kann er nur in die Klauen eines solchen Rohlings gefallen sein? Aber ich bin froh, daß du gekommen bist, Holmes. Ich vertraue deinem Urteilsvermögen in jeder Beziehung. Ich weiß, daß du mich bestens beraten wirst.<
Auf der glatten, weißen Landstraße kamen wir gut voran. Die lange Hügelkette vor uns schimmerte im Licht der untergehenden Sonne. Schon konnte ich die hohen Schornsteine und den Fahnenmast des alten Herrenhauses in der Ferne erspähen. >Mein Vater hat den Kerl als Gärtner angestellt<, erzählte mein Freund, >aber
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