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Das Reisebureau Thompson und Comp.

Das Reisebureau Thompson und Comp.

Titel: Das Reisebureau Thompson und Comp. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Verne
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eine Faust, die genügen mußte, Blockhead mit einem Ruck von seinem Leiden zu befreien.
    Eine Schraubenmutter ist aber ein ander Ding als ein Zahn. Das sollte auch der improvisierte Therapeut erfahren. Eine mächtige Zange in der Hand, mußte er diese dreimal ansetzen, und das unter dem jämmerlichsten Geheul des Patienten, der auf dem Deck im vollen Sonnenschein saß und von zwei sehr lustigen, handfesten Gesellen gehalten wurde…
    Die vielfachen Verrenkungen des Ehren-Krämers hätten unter allen andern Umständen nicht verfehlt, das Lachen seiner mitleidlosen Gefährten zu erwecken. Der Mensch ist nun einmal so: der Sinn für das Komische ist bei ihm stärker ausgeprägt als der der Teilnahme. Das Lachen wurde auch früher geboren als das Mitleid. In seiner augenblicklichen Lage konnte Mr. Blockhead aber sich so grotesk verrenken wie er wollte; kaum ein heimliches Lächeln folgte ihm, als er, endlich befreit und die Wange zwischen beiden Händen, seiner Kabine zusteuerte.
    Trotz seines Leidens war aber seine Fähigkeit alles zu bewundern, nicht verloren gegangen. Von einem Maschinisten operiert worden zu sein, und das mit einer Schmiedezange, an Bord eines verunglückten Schiffes, das war doch nichts Alltägliches, und jetzt, wo das Abenteuer überstanden war, war Blockhead gar nicht böse darüber, dessen Held gewesen zu sein. Er fand sogleich wieder die Kraft, seinen Zahn zu reklamieren; der würde ihm später eine greifbare Erinnerung an diese außergewöhnliche Lustreise sein. Der Zahn, ein tüchtiger Backenzahn, wurde ihm ausgeliefert, und als Blockhead ihn von allen Seiten besehen hatte, steckte er ihn sorgfältig in die Tasche.
    »Er wird ihn gegen Sie aufbewahren,« sagte Baker liebenswürdig zu Thompson, der seinen erleichterten Passagier nach dem Hinterdeck führte.
    Blockhead hätte jetzt wieder essen können.
    Leider war das zu spät: an Bord der »Seamew« gab es nichts mehr zu beißen.
    Am Abend dieses denkwürdigen Tages, der den Ruin der Kombüse herbeiführte, gelang es noch, als man in den verstecktesten Winkeln umhersuchte, einige Reste von Eßwaren zu finden, einige Brocken, mit denen man vorlieb nehmen mußte. Das war aber das letzte Mahl. Das Schiff war von oben bis unten durchsucht und sorgfältig gesäubert worden, und wenn das Land nun nicht in kürzester Zeit auftauchte, konnte Passagiere und Mannschaft nichts vor den Schrecken des Hungers retten.
    Wie sehnsüchtig blickten da alle nach dem südlichen Horizonte.
    Vergeblich. Als die Sonne am 18. unterging, verschwand sie noch immer hinter einem untadeligen Kreise, den kein Profil eines Landes unterbrach.
    Von den Inseln des Grünen Vorgebirges konnte man jedoch nicht mehr weit entfernt sein. Ein Irrtum des Kapitäns Pip war gar nicht anzunehmen, es handelte sich also nur um eine Verzögerung. In der Nacht würde man gewiß auf Land treffen.
    Das Schicksal hatte es anders beschlossen. Um das Unglück voll zu machen, flaute die Brise mit Sonnenuntergang ab und wurde von Stunde zu Stunde schwächer. Vor Mitternacht schon herrschte völlige Windstille. Die nicht mehr zu steuernde »Seamew« konnte, um an ein Land zu kommen, nur noch auf die Meeresströmung rechnen, mit der sie dahintrieb.
    In der Zone der Passate ist ein Richtungswechsel des Windes äußerst selten. Da die »Seamew« aber nach Süden zu abtrieb, hatte sie sich schon der Gegend genähert, wo die Winde nicht mehr so beständig sind. Es wäre unrichtig, zu sagen, daß sie die Grenze der Passate schon erreicht gehabt hätte, bei den Inseln des Grünen Vorgebirges erleiden diese aber, infolge der Nähe des Festlandes, mannigfache Störungen. Sehr wenig südöstlich von dem Archipel sind sie vollständig aufgehoben, während sie auf dem Ozean unter derselben Breite noch unverändert fortdauern. In der genannten Gegend wehen sie einigermaßen beständig nur vom Oktober bis zum Mai. Im Dezember und Januar herrschen Ostwinde, deren glühender Atem alles versengt und vernichtet. Juni, Juli und August bilden die Regenzeit, und man durfte sich glücklich schätzen, daß die »Seamew« bisher ein trocknes Deck behalten hatte.
    Bei dem neuen Ungemach, das das Schicksal ihm bescherte, verspürte Thompson große Lust, sich die Haare auszuraufen. Was den Kapitän Pip betraf, hätte der Kuckuck dessen Gedanken und Gefühle erraten können. Kaum autorisierte er Artimon durch ein leichtes Zusammenziehen der Augenbrauen anzunehmen, daß er sich über diese Widerwärtigkeit doch ein bißchen

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