Das Reliquiar
Sie wurde seit vielen Jahren nicht mehr benutzt, denn den Bewohnern des Ortes war es wie zu Himmlers Zeiten verboten, sich der Burg zu nähern.
Der Wagen wartete ein Stück hinter dem Bach. Elena und Nicholas bedankten sich bei Sabine und umarmten sie zum Abschied. »Wartet...«, sagte sie. »Die Baronin hat mich gebeten, euch dies hier zu geben.« Sie holte einen Umschlag und ein in Wachstuch gewickeltes Päckchen hervor. »Im Umschlag findet ihr, was ihr braucht, um das
Ziel der Reise zu erreichen.Was das Päckchen betrifft... Es enthält Unterlagen, die sich seit vielen Jahren im Besitz der Baronin befanden. Sie hat mir gesagt, ihr könntet damit mehr anfangen als sie.«
Elena und Nicholas wechselten einen Blick. Handelte es sich vielleicht um die Dokumente, die aus Lodovico Brandantis geheimem Archiv verschwunden waren?
Ihnen blieb nicht genug Zeit, das Rätsel zu lösen. Elena winkte noch einmal und setzte sich dann ans Steuer. Nicholas nahm die Karte, die Sabine für sie gezeichnet hatte.
»Hier heißt es, dass wir fünfzehn Kilometer weit fahren müssen«, sagte er.
»Und das in diesem Nebel...« Elena startete den Motor, dessen Brummen durch den ganzen Wald zu hallen schien.
»Fahr los, bevor jemand kommt!«, drängte sie Nicholas.
Elena ließ es sich nicht zweimal sagen.
Mit Sabines Wegbeschreibung fanden sie den Bahnhof von Paderborn ohne Probleme. Sie ließen den Wagen in einer Seitenstraße zurück und kauften die Fahrkarten an einem Automaten. Sabine und die Baronin hatten an alles gedacht: Der Umschlag hatte nicht nur die Karte enthalten, sondern auch etwas Geld und Angaben darüber, wo sie umsteigen und welche Züge sie nehmen mussten, um nach Bozen zu gelangen.
»Es ist eine ziemlich weite Reise«, sagte Nicholas. »Und in München müssen wir ziemlich lange auf den Anschluss warten. Das gibt uns Zeit, die Dokumente in dem Päckchen zu lesen.«
Elena sah ihn besorgt an. »Nick... Was passiert, wenn man unsere Flucht entdeckt?«
»Ich glaube nicht, dass Sabine uns verrät«, erwiderte Nicholas.
»Die anderen könnten sie zwingen, ihnen Auskunft zu geben. Otto, Bruno und der ganze Haufen... Sie schrecken vor keinem Mittel zurück, um ihre Ziele zu erreichen.«
»Hältst du sie für fähig, die arme Frau zu foltern?«
»Ich glaube, sie sind zu allem fähig.«
23
Düsseldorf, 13. November 2006
Im Flughafen von Düsseldorf erwartete ihn ein Beamter von Interpol, ein junger Bursche, hochgewachsen und blond, mit kühl blickenden grauen Augen und kantigem Gesicht. Er löste sich aus der Menge der Wartenden und kam ihm entgegen.
»Sind Sie Kommissar Valente?« Er sprach Englisch mit starkem Akzent.
»Höchstpersönlich«, sagte Valente und lächelte. »Bleiben Sie ruhig bei Deutsch. Ich verstehe alles; nur mit dem Sprechen hapert’s ein wenig.«
»Ah, gut.Willkommen in Deutschland. Ich bin Inspektor Rudolf Baumann.«
Sie schüttelten sich die Hand und gingen dann zum Ausgang, wo ein dunkler Wagen auf sie wartete. Baumann nahm vorn neben dem Fahrer Platz, und Valente stieg in den Fond ein. Der Wagen rollte sofort los und entfernte sich vom Terminal.
»Wohin fahren wir?«, fragte Valente.
»Direkt zu meinem Vorgesetzten«, sagte Baumann. »Er erwartet uns in einer halben Stunde.« Er hatte sich halb umgedreht, lächelte und versuchte, freundlich zu sein, aber sein Blick blieb kühl und distanziert.
»Wissen Sie, aus welchem Grund ich hier bin?«
»Ich bin informiert worden, aber die Details kenne
ich nicht. Mein Vorgesetzter hat mir gesagt, Sie würden uns alles erläutern.«
Valente hörte einen gewissen Unterton in der Stimme des Inspektors. »Sie scheinen von dieser Sache nicht viel zu halten.«
In Baumanns grauen Augen blitzte es kurz auf. »Das stimmt. Aber meine persönliche Meinung zählt nicht.«
»Für mich ist sie wichtig. Immerhin werden wir zusammenarbeiten und geraten dabei vielleicht sogar in Gefahr. Bitte seien Sie ganz offen.«
»Ihre Beweise haben mich nicht überzeugt, Kommissar Valente.Wissen Sie, in Hinsicht auf die von Odelbergs ist im Lauf der Jahre immer wieder ermittelt worden, ohne dass sich irgendetwas ergeben hat. Bei den Aktivitäten des Projekts Leben gibt es kein Geheimnis. Die einzige ›Schuld‹ des Unternehmens besteht darin, über enormes Kapital zu verfügen, das eingesetzt wird, um die Lebensbedingungen des armen Teils der Menschheit zu verbessern. Es ist durchaus möglich, dass mit dem Projekt Leben hier und dort Gewinn erzielt wird, aber es
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