Das Reliquiar
ein wenig übereifrig.«
»Das reicht«, warf Boch ein. »Wir kehren nach oben zurück!«
Der verletzte Polizist war ins Schloss gebracht worden, und seine Kollegen leisteten ihm Gesellschaft, während sie auf den Krankenwagen warteten. Die meisten Hausangestellten befanden sich ebenfalls in der Nähe und eilten aufgeregt umher. Als die Gruppe aus dem Keller den Aufzug verließ, fand sie sich in einem großen Durcheinander wieder.
»Was ist hier los?«, rief Boch. »Wachtmeister Rasche, berichten Sie.«
Während Rasche die Situation schilderte, blieb Otto völlig gelassen.
»Nun, Baron, haben Sie jetzt eine Erklärung für uns?«, fragte Boch, nachdem der Wachtmeister Bericht erstattet hatte.
»Es gibt nichts zu erklären«, erwiderte Otto von Odelberg. »Ich weiß nur, dass Ihre Leute meinen Sohn und zwei meiner Sicherheitsbeauftragten getötet haben. Dieses Verb rechen wird nicht ungesühnt bleiben.«
»Und was ist mit deinen Verbrechen?«
Die Stimme kam von der Treppe, und dort stand die alte Baronin Elfriede, hoch aufgerichtet und voller Stolz, auf ihren Gehstock gestützt, in ihren Augen ein herausforderndes Licht. Alle drehten sich zu ihr um.
Otto verzog das Gesicht. »Was soll das, Mutter?« Er trat auf sie zu. »Es war sehr unvorsichtig von dir herunterzukommen. Ich bringe dich in dein Zimmer zurück...«
»Komm mir nicht zu nahe!«, rief die alte Frau. »Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen, und du wirst mich nicht daran hindern.«
»Welche Wahrheit?« Zum ersten Mal wirkte Otto beunruhigt. »Gertrud, bringen Sie die Baronin nach oben«, sagte er und wandte sich an das Hausmädchen.
»Wollt ihr nicht hören, was ich zu sagen habe?«
»Ich glaube, wir sollten sie anhören«, sagte Valente zu Boch.
Der Kommissar nickte. »Ja, das glaube ich auch.«
»Meine Mutter ist sehr krank, Kommissar, und manchmal weiß sie nicht, was sie redet«, sagte Otto. »Wollen Sie wirklich Zeit vergeuden und sich ihre Faseleien anhören?«
»Ihre Mutter scheint mir durchaus bei Verstand zu sein, und deshalb werde ich ihre Aussage zu Protokoll nehmen«, entgegnete Boch. Er ging die Treppe hoch, näherte sich Elfriede und bot ihr seinen Arm an. »Kommen Sie, Baronin. Ich bin neugierig darauf, was Sie uns zu erzählen haben.«
24
Bozen, 14. November 2006
»Könnte er es sein?« Elena deutete auf einen großen Mann, der einen schwarzen Mantel und einen dunklen Hut trug. Er hatte kein Gepäck, ging in einem Abstand von mehreren Metern am haltenden Zug entlang und musterte die aus den Fenstern sehenden Personen.
»Möglich«, sagte Nicholas.
Wenige Sekunden später erreichte der Fremde den Wagon, in dem Elena und Nicholas saßen. Sein Blick traf sie, und er schien sie zu erkennen, denn er stieg sofort ein und tauchte kurz darauf bei ihnen im Abteil auf. »Kommen Sie, der Zug fährt gleich weiter«, sagte er.
»Kennen Sie Sabine, die Betreuerin der Baronin von Odelberg? Sind Sie der Mann, den sie uns angekündigt hat?«, fragte Elena.
»Ja. Bitte beeilen Sie sich. Uns bleibt nur wenig Zeit.«
Sie stiegen aus, und wenige Sekunden später setzte sich der Zug in Bewegung. Der Mann führte sie mit langen, zielstrebigen Schritten zur Unterführung. Draußen auf dem Parkplatz hielt er auf eine große schwarze Limousine zu.
»Steigen Sie ein«, sagte er und setzte sich selbst ans Steuer.
Elena und Nicholas nahmen im Fond Platz.
»Glauben Sie nicht, dass Sie uns wenigstens Ihren Namen verraten sollten?«, fragte Nicholas.
Der Mann startete den Motor und fuhr los. »Ich heiße Carlo Serpieri.«
»In welcher Verbindung stehen Sie mit Sabine, Signor Serpieri?«, fragte Elena.
»Wir arbeiten beide für die gleiche Institution. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn wir unser Ziel erreicht haben, wird man Ihnen alles erklären. Sie müssen nur ein wenig Geduld haben.«
»Wohin fahren wir?«
»Nach Rom, Signorina Brandanti. Und jetzt versuchen Sie bitte, sich zu entspannen. Es ist eine lange Reise.«
Elena und Nicholas verzichteten darauf, einen Blick zu wechseln – sie wollten nicht, dass Serpieri Verdacht schöpfte -, aber sie nahmen sich bei der Hand. Der Mann gefiel ihnen ebenso wenig wie die Aura des Geheimnisvollen, mit der er sich umgab.Vielleicht neigten sie nach ihren jüngsten Erfahrungen zur Paranoia, doch einem Unbekannten wollten sie nicht so einfach Vertrauen schenken.
»Ich bereite Ihnen nur ungern Unannehmlichkeiten«, sagte Elena in einem unschuldigen Tonfall, »aber ich muss auf die
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