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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Seymour
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Großvater und Vater, die gegeneinander gekämpft und ihre Familienbande geleugnet hatten, um nicht nachgeben zu müssen. Es hatte für sie beide Leid bedeutet. Nutzloses Leid. Einmal mehr fragte sich Elena, was der Grund für jenen Konflikt gewesen sein mochte.
    Als Elena merkte, dass sich das Gespräch immer mehr um schmerzliche Dinge drehte, erwähnte sie ihre Erinnerungen ans Schloss. »Ich weiß noch, dass mein Großvater und meine Mutter einmal fast gestritten haben, weil er mir von einem Gespenst erzählte...«
    »Bestimmt ging es dabei um Porzia«, sagte Goffredo und lachte.
    »Porzia?«, wiederholte Elena. »Ah, ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Sie wurde im Zimmer ganz oben im Turm lebendig eingemauert, weil ihr Mann wahnsinnig vor Eifersucht war. Ich glaube, so hat es mir mein Großvater damals erzählt.«
    »Bestimmt hat er hinzugefügt, dass jedes Jahr am Tag der Verurteilung ihr Geist klagend das Schloss durchstreift«, warf Marta ein. »Bei Touristen kommen solche Geschichten gut an.«
    »Ich habe den Geist nie gesehen«, sagte die Köchin. »Aber einmal habe ich ein seltsames Schluchzen gehört …«
    »Vielleicht war es ein im Mondschein heulender Hund«, zog Goffredo sie auf.
    Anna warf ihm einen Blick zu. »Glaubst du, ich kann
Gejaule nicht vom Jammern einer jungen Frau unterscheiden?«
    »Ich bin im Turm bis ganz nach oben gestiegen und habe das Zimmer betreten«, sagte Elena. »Meine Mutter hatte es mir natürlich verboten, und ich hatte große Angst, aber ich wollte das Grab sehen. Und ich glaube, ich habe es gefunden.« Drei Augenpaare musterten sie überrascht. »Es gibt einen Hohlraum in der Rückwand, nicht weit vom Kamin. An einigen Stellen ist der Putz abgebröckelt, und dort sieht man Ziegel und nicht die Steinblöcke, aus denen der Turm sonst besteht.«
    »War das damals, als du plötzlich weg warst und alle vergeblich nach dir gesucht haben?«, fragte Marta.
    »Ja.« Elena nickte und lächelte. »Seither sind die Schlüssel zum Turm verschwunden. Ich hatte keine Gelegen heit mehr, mir das Zimmer noch einmal anzusehen, denn kurze Zeit später haben wir das Schloss verlassen.«
    Der Butler sah sie besorgt an. »Sie haben doch nicht vor, die Mauer zu öffnen und festzustellen, ob dahinter die sterblichen Überreste von Porzia liegen, oder?«
    Elena lachte und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich lasse das Geheimnis ruhen und hoffe, dass Porzia endlich Frieden gefunden hat.«
     
    Am nächsten Morgen erwachte Elena sehr früh. Sie stand auf, zog den Vorhang beiseite und duschte. Anschließend wählte sie bequeme Kleidung, öffnete die Tür und trat in den Flur hinaus. Am vergangenen Abend hatte sie die Bilder an den Wänden gar nicht bemerkt, aber jetzt fiel ihr ein, dass sie als Kind oft vor ihnen stehen geblieben war und sie mit einer Mischung aus Furcht und Faszination
betrachtet hatte. Da waren sie: vom Stammvater, dem Grafen Corrado dem Roten bis hin zu Elenas Großvater Lodovico, dargestellt in seiner Uniform als Offizier der Königlichen Kavallerie. Nur das Porträt ihres Vaters fehlte – vermutlich war es nach dem Zerwürfnis auf dem Dachboden gelandet. Während Elena noch überlegte, ob dieses Bild jemals den Platz bekommen würde, der ihm gebührte, bemerkte sie die Darstellung einer jungen Frau, die ein prunkvolles Gewand und im Haar ein Perlendiadem trug. Die Unbekannte sah ihr sehr ähnlich. Das könnte ich sein , dachte Elena.
    Goffredo kam mit dem Frühstückstablett für den Grafen die Treppe hoch und näherte sich ihr. »Wie ich sehe, ist Ihnen die Ähnlichkeit aufgefallen, Signorina«, sagte er.
    »Wer ist das?«
    »Donna Beatrice, bekannt für ihre Belesenheit und Unternehmungslust, aber auch für ihre Grausamkeit. Es heißt, dass sie im Verborgenen komplottiert hat, bis die arme Porzia lebend eingemauert wurde. Und anschlie ßend soll sie ihren Mann vergiftet haben, weil er Porzias Liebhaber war...«
    »Donna Beatrice...«, murmelte Elena und trat näher, um das Bild genauer zu betrachten.Als sie den Schriftzug des Malers sah, hob sie überrascht die Brauen. »Ich wusste nicht, dass das Gemälde von Jacopo Castelli stammt«, sagte sie beunruhigt.
    »Beatrice war ein Mäzen, und Jacopo Castelli gehörte zu ihren Günstlingen. Man munkelt, dass sich seine Rolle nicht nur darauf beschränkte.«
    »Wer war ihr Mann?«

    »Urbano Brandanti Malaterra. Dort ist sein Bild.«
    Als Elena das Bildnis des Mannes sah, schwanden ihr fast die Sinne. Es war der Mann, den sie während

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