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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Seymour
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Augenblick zum anderen traf Elena eine Entscheidung. Sie kehrte ins Arbeitszimmer zurück, schloss die Tür des geheimen Archivs, ging zum Schreibtisch und wählte eine Telefonnummer.
    »Hallo?«
    »Ich bin’s, Nick, Elena. Ich hoffe, ich störe dich nicht.«
    »Elena? Ich bin froh, dass du dich meldest.Wie geht’s dir? Gerade eben habe ich noch an dich gedacht.«
    »Mir geht es gut, aber ich brauche deine Hilfe. Könntest du nach Italien kommen?«
    »Ist was passiert?«
    »Es sind viele Dinge passiert, aber am Telefon möchte ich nicht darüber reden. Es wäre schön, wenn du hierherkommen könntest, Nick, doch wenn das nicht geht...«

    »Natürlich komme ich!«, sagte Nick. »Ich nehme den ersten Flug nach Rom.«
    »Nein, ich bin nicht in Rom, sondern in Sandriano, im alten Schloss meiner Familie. Gib mir Bescheid, wann du eintriffst. Dann hole ich dich vom Flughafen ab.«
    »Nicht nötig. Ich nehme einen Leihwagen und komme direkt zu dir. Den Weg finde ich schon, keine Sorge.«
    »Danke, Nick. Damit tust du mir wirklich einen gro ßen Gefallen.«
     
    »Was ist denn mit dir los?« Als Elena das Arbeitszimmer verließ, sah sie Leone, der offenbar gerade von seinem Spaziergang zurückkehrte. Aber eine besonders angenehme Zeit schien ihr Cousin nicht gehabt zu haben. Sein Haar war zerzaust, und Schlamm klebte an der Hose und der aufgerissenen Jacke.
    »Ich bin im nassen Gras ausgerutscht und einen Hang hinabgestürzt«, sagte Leone. »Fast hätte ich mir dabei den Hals gebrochen.« Er zog Stiefel und Jacke aus und reichte beides Goffredo, der sofort erschienen war.
    »Bist du verletzt?«, fragte Elena eher amüsiert als besorgt.
    »Nein, aber ich könnte jetzt ein heißes Bad gebrauchen. Wenn du mich bitte entschuldigen würdest...«
    Elena sah ihm nach, als er die Treppe hinaufging, und sie konnte dabei ein leises Kichern nicht unterdrücken. Hinter ihr setzte Marta eine triumphierende Miene auf.
    »Schade, dass er sich nicht den Hals gebrochen hat«, murmelte sie.
    »Jetzt übertreibst du wirklich!« Elena machte keinen
Hehl aus ihrem Missfallen. »Eigentlich ist er gar nicht so übel.«
    »Er mag ein attraktiver junger Mann sein, aber an deiner Stelle würde ich ihm nicht trauen. Er ist mit einer ganz bestimmten Absicht gekommen, und du solltest wachsam bleiben. Da fällt mir ein...« Sie holte ein Foto aus ihrer Schürze. »Das habe ich vor einer Weile in einem Buch aus der Bibliothek deines Großvaters gefunden.«
    Es war ein altes, vergilbtes Bild, das ein lächelndes Brautpaar zeigte. Bei dem Mann handelte es sich eindeutig um Elenas Großvater, doch die schöne Frau an seiner Seite kannte sie nicht.
    »Das ist sie, die Deutsche«, zischte Marta. »Ich dachte, du möchtest vielleicht wissen, wie sie ausgesehen hat.«

Schloss Sandriano, 11. Dezember 1208
    Arrigo musterte die drei Gestalten in der Mitte des Salons. Seine Frau Iolanda hatte Tochter und Sohn zu ihm gebracht, Elisa und Manfredi, und sie sahen ihn ein wenig eingeschüchtert an. Als Kinder hatte er sie zurückgelassen, und jetzt waren zwei gesunde, kräftige junge Leute aus ihnen geworden. Iolanda hingegen … Sie hatte sich nicht verändert. Die Jahre schienen an ihr vorübergegangen zu sein, ohne Spuren zu hinterlassen. Sie lächelte, obwohl sich in ihren Augen ein Tränenschleier zeigte. »Geht und begrüßt euren Vater«, sagte sie und schob die beiden nach vorn.
    Arrigo war so bewegt, dass es ihn übermenschliche Kraft kostete, seine Kinder nicht zu umarmen. Als Elisa
und Manfredi sahen, dass er reglos blieb, verharrten sie vor ihm und verneigten sich.
    »Willkommen,Vater«, sagten sie beide.
    Arrigo litt. So hatte er sich seine Rückkehr nach der langen Trennung nicht vorgestellt, doch seine Krankheit und die Furcht vor Ansteckung zwangen ihn, Distanz zu wahren. »Bitte geht jetzt. Ich möchte mit eurer Mutter sprechen«, sagte er mit rauer Stimme.
    Beide drehten sich um und sahen Iolanda an, die ihnen zunickte. »Geht«, sagte sie.
    Die Tränen rollten ihr jetzt über die Wangen. Die Kühle ihres Ehemanns war für sie so schmerzhaft wie der Stich eines Messers, aber sie vergaß ihre Pflichten nicht. Sie beauftragte einen Bediensteten, Wein und Essen zu bringen, ließ Arrigo dann am Kamin Platz nehmen und blieb vor ihm stehen.
    »Setzt Euch, Iolanda«, forderte Arrigo sie auf.
    Sie gehorchte, blieb aber starr, faltete die Hände im Schoß und richtete einen fragenden Blick auf ihn. Sie hätte ihn gern umarmt und geküsst, ihm gesagt, dass

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