Das Remake
Ihre Heilige Schrift, soviel steht fest.«
»Heilige Schrift…« Rex zögerte. »Heilige Schrift, sagen Sie? Also wäre es sozusagen Häresie für jeden, der nicht an gebrochenem Herzen leidet, in diesem Hotel einzuchecken?«
Der Laufbursche und der Rezeptionist wechselten Blicke. Rex bemühte sich, die unausgesprochenen Worte zu verstehen, die zwischen ihnen hin und her gingen.
Schließlich redete der Rezeptionist einmal mehr. »Kenne ich Sie nicht?«, fragte er.
»Nein«, sagte Rex. »Tun Sie nicht.«
»Doch«, sagte der Rezeptionist. »Tue ich doch. Sie sind der Typ aus dem Fernsehen.«
»Nein!«, kreischte Rex. »Bin ich nicht!«
»Ist er wohl.« Der Laufbursche zog die Nase hoch. »Er macht diese Gameshow, wo alle Kandidaten am Ende…«
»Mache ich nicht!«
»Nun hören Sie mir mal gut zu, Freundchen, verdammt gut. Es ist mir völlig gleichgültig, wer Sie sind und was Sie sind. Aber ein Liebender mit gebrochenem Herzen sind Sie gewiss nicht. Wenn Sie nicht unverzüglich aus diesem Hotel verschwinden, sehe ich mich gezwungen, einen Repomann zu rufen. Und das will bestimmt keiner von uns beiden, oder?«
»Einen Repomann?« Die Worte machten klick. »Verraten Sie mir doch bitte, was Sie hiervon halten.« Rex fischte die Geldbörse aus seiner Hosentasche und zeigte dem Rezeptionisten die Karte, die Laura Lynchs Beinen Lebewohl gewinkt hatte.
»Oh.« Welche Farbe auch immer im Gesicht des Rezeptionisten gewesen sein mochte, sie wich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. »Oh. Ich verstehe, Sir . Jawohl, in der Tat… Nun, ich denke, Sie werden zufrieden sein mit meinem Stoizismus… ich mache meine Arbeit gut, Sir. Sie werden keine Devianti und keine Häretiker hier finden, o nein, das werden Sie nicht.«
»Gut.« Rex nickte wohlwollend. »Ich bin sehr erfreut, das zu hören. Und jetzt benötige ich ein Zimmer für die Nacht.«
»O ja, Sir. Selbstverständlich, Sir.« Mit unsicherer Hand nahm der Rezeptionist einen Schlüssel vom Haken, direkt unter dem NUR LIEBENDE MIT GEBROCHENEN HERZEN – AUF ANORDNUNG DES MANAGEMENTS-Schild.
»Laufbursche! Sieh nach, ob dieses Zimmer für unseren geehrten Gast angemessen ist!«
»Jawohl, Sir!« Der Hotelpage verließ seinen feuchten Teppichfleck und eilte hastig davon.
»Hört niemals auf zu weinen, der dort, Sir. Macht seinem Beruf alle Ehre.«
»Ich verstehe.« Rex verstand eigentlich überhaupt nichts. »Warum weint er eigentlich ununterbrochen? Ich frage mich schon die ganze Zeit.«
»Ich habe eigentlich nie darüber nachgedacht, Sir. Meiner Meinung nach rührt es aus irgendeinem Kindheitstrauma. Vielleicht eine Mutterfixierung. Ein tief sitzender Ödipuskomplex würde in einer negativen psycho-physiologischen Reaktion auf äußere Stimuli resultieren. Ein Subjekt in einem Zustand derartiger innerer Spannung könnte lediglich vermittels eines emotionalen Auslösers Linderung von seinen retroaktiven Inhibitionen finden. Es ist eher ein konditionierter Reflex als ein bewusster Wunsch zu weinen. Haben Sie je das Buch…«
Rex trat einen Schritt vor und schlug den Rezeptionisten bewusstlos.
»Sehr amüsant«, sagte er.
Schließlich kehrte der Hotelpage zurück. Er bemerkte den reglos auf dem Gesicht liegenden Psychologen, doch er brachte das Thema nicht zur Sprache. Statt dessen führte er Rex durch ein heruntergekommenes Treppenhaus nach oben und öffnete eine Tür für ihn.
»Dies ist unser bestes Zimmer, Sir. Ich hoffe, es findet Ihre Zustimmung. Sollten Sie sonst noch etwas wünschen, so zögern Sie nicht zu läuten. Normalerweise ignorieren wir selbstverständlich sämtliche Anrufe seitens unserer Gäste. Politik des Managements, alles in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift.«
»Bewundernswert.«
»Danke, Sir. Unser Ziel ist es, zu deprimieren.« Er schloss hinter Rex die Türe und schlurfte in den höchsten Tönen weinend über den Korridor davon.
Rex überflog den Raum flüchtig. Das Zimmer als erbärmlich zu bezeichnen wäre noch schamlos übertrieben gewesen. Die grabähnliche Kammer enthielt eine armselige Pritsche, einen nüchternen Stuhl, eine deprimierende Kommode voller leerer Schubladen, einen Fernseher, der alles noch verschlimmerte, und einen Teppich in einem derart jämmerlichen Zustand, dass ein Glasauge deswegen Tränen geweint hätte.
Rex schüttelte den Kopf. »Sehr behaglich.« Er wanderte zu der Kommode und zog an der obersten Schublade. Der gramgeschwächte Griff löste sich in seiner Hand von der Lade. Rex seufzte und
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