Das Rennen zum Mars
feinmotorische Arbeiten nur bedingt geeignet war.
Sie hatte Viktor ihr Anliegen vorgetragen, worauf dieser das Gewächshaus mit dem Handschuhkasten ausgerüstet hatte. Die im Treibhaus herrschenden Temperaturen verhinderten das Gefrieren des Wassers und beschleunigten den Ablauf der Experimente ungemein.
Wie schon bei den Viking-Experimenten reagierten die trockenen Oberflächen-Peroxide sofort mit dem Wasser, wobei eine geringe Menge Sauerstoff erzeugt wurde. Nachdem sie die Versuchsreihen beendet hatte, blies sie die Gase ab und dichtete die Druckbehälter wieder ab. Sonst tat sich nichts. Viking und die anderen Sonden hatten nur chemische Prozesse registriert, aber keinerlei Hinweise auf Leben gefunden.
Sie hatte das Experiment mit den Proben rekonstruiert, die sie von Marcs Bohrkernen und anderen verheißungsvollen Stellen genommen hatte. Doch Hinweise auf Leben hatte auch sie nicht gefunden.
Eines Tages war sie nach dem Abendessen mit einem schmutzigen Löffel über einen Teller gefahren und hatte ein paar robuste Erd-Bakterien kultiviert. Diese Bakterien setzte sie dann in frischer Mars-Erde aus und wiederholte das Experiment. Doch außer dem Sauerstoff, der durch die chemische Reaktion erzeugt worden war, hatte sich wieder nichts getan.
Die Peroxide hatten die Mikroben in kürzester Zeit vernichtet und ihre Zellwände zerfressen. Es war völlig klar, weshalb die robotischen Lander keine Anzeichen von organischer Chemie gefunden hatten. Für irdisches Leben glich der Mars einem chemischen Flammenwerfer.
Doch diesmal war es anders. Sie hatte lebendige Proben gefunden.
Sie ging schnurstracks zum Handschuhkasten. Wird Zeit, das Zeug mal unter die Lupe zu nehmen.
Auf der Erde hatte sie mit anderen Biologen ausgiebig die besten Verfahrensweisen für die Handhabung unbekannter Proben diskutiert. Der gemeinsame Nenner lautete: vor dem Kleinschneiden, Zusammenwürfeln oder Extrahieren kam immer die Beobachtung. Der lebende Organismus mußte auf Herz und Nieren untersucht werden.
Sie legte die Probe aus dem unterirdischen Tümpel unters Seziermikroskop, um sich ›live‹ und in 3-D einen genauen Überblick zu verschaffen. Sie hatte etwas vom Wasser mit den schwimmenden Lebensformen – Marcs ›Shrimps‹ – und ein Stück von der Matte mitgenommen.
Unter dem Mikroskop indes hatten sie kaum Ähnlichkeit mit Garnelen. Es handelte sich um kleine, hellrote und agile Wesen, die sich mit peitschenähnlichen Schlägen durchs Wasser bewegten. Bei entsprechender Vergrößerung wiesen sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit Garnelen mehr auf. Vielmehr glichen sie beweglichen Kolonien.
Sie schienen aus unterschiedlichen Zelltypen zu bestehen, die durch eine flexible Matrix zusammengehalten wurden. An einem Ende befand sich ein knubbeliger Auswuchs – als Kopf wollte sie ihn allerdings nicht bezeichnen – mit einem helleren Fleck.
Nachdem sie die Lampe angeschaltet hatte, traten nur ein paar dieser Lebensformen in Erscheinung, die sich noch dazu nur träge bewegten. Wieder konzentrierten sie sich unter der Lichtquelle über dem Objektträger. Nach ein paar Minuten wurden sie lebhafter, und mehr dieser Wesen erschienen.
Aber woher? Sie überflog die rapide sich verdichtende Gruppe. Die Bewegung des Lichtpunkts versetzte sie in Wallung, bis sie sich schließlich an der neuen Position versammelt hatten.
Dann fiel ihr Blick auf die Matte am Rand des Sehfelds. Das war die Quelle. Sie kamen also von der Matte – unter ihr hervor oder aus dem Innern ?
Sie erhöhte die Vergrößerung und fokussierte einen schmaleren Abschnitt. Dort. Fasziniert sah sie, wie sich ein hellroter runder Fleck in der schleimigen Matrix der Matte im Licht regte, sich von der Matte ablöste und davonschwamm. Sie richtete den Fokus auf einen anderen Fleck und schaltete die eingebaute Videokamera ein.
»He, Marc«, rief sie. »Das mußt du dir mal ansehen! Die Shrimps quellen aus der Matte.«
Marc hatte an einem der langen Tröge gearbeitet, die sie für den Anbau der Pflanzen verwendeten. Während der langen Monate der Mission hatte er ein Faible für die Gärtnerei entwickelt und war Julia im Gewächshaus immer wieder zur Hand gegangen.
Er folgte ihrem Ruf, und sie stand auf, um ihm Platz zu machen.
Sie straffte sich. Sie war durchgefroren und steif. Das Gewächshaus war so temperiert, daß sie es im Hautanzug gerade noch aushielt – wenn sie herumlief und sich um die Pflanzen kümmerte. Sie drehte die Bodenheizung hoch. In voller Montur
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