Das Rennen zum Mars
Couch und ein paar Flaschen Bier, und man hätte das Gefühl gehabt, sich in einem dieser wabenförmig angeordneten japanischen Mikro-Apartments zu befinden. Es war ein richtig gutes Gefühl, wieder zu arbeiten.
Viktor mußte ihre Befindlichkeit gespürt haben. »In Ordnung. Erzähl mir von der Mars-Matte . Was hat es damit auf sich?«
»Ich habe ein paar Stücke abgetrennt und sie unter jedes Mikroskop gelegt, das ich habe. Es ist ein komplexer Biofilm aus Schichten verschiedenartiger Organismen – anaerobe einzellige Organismen, wie ich vermute.«
»Hatten immerhin ein paar Milliarden Jahre Zeit, sich zu entwickeln.«
»Das unterirdische Leben auf der Erde ist aber nicht so hoch entwickelt.«
»Unterschiedliche Bedingungen.«
»Äh … genau. Hier mußten die Anaeroben sich nicht gegen eine giftige Sauerstoffatmosphäre behaupten.«
»Wie entwickelt ist diese Mars-Matte eigentlich? Oder würde die Bezeichnung Mars-Pilz es eher treffen?«, fragte er mit einem Augenzwinkern.
»Überlaß die Terminologie bitte den Profis. Jedenfalls scheint die Matte auf einer höheren Entwicklungsstufe zu stehen als der durchschnittliche irdische Biofilm, aber vielleicht täuscht der Eindruck auch, weil die Matte einfach nur größer ist. Sie verfügt über ein Kanalsystem für den Flüssigkeitstransport, über das die inneren Zellen mit Nährstoffen versorgt und Abfallstoffe ausgeschieden werden.
Wie ein Wasserwerk.«
»Und wo ist die Pumpe?«
»Es ist keine erforderlich.«
»Wie soll das Wasser dann zirkulieren?«
»Ich glaube, daß es sich vertikal bewegt, anstatt zu zirkulieren.«
»Wie soll das Wasser denn ohne Pumpe ans obere Ende der Matte gelangen? Du sagtest doch, sie sei ein paar hundert Meter hoch.«
»Wie bei einer Wassersäule wird das Wasser durch die an der Oberseite stattfindende Verdunstung angesaugt. Man könnte es auch mit einem Baum vergleichen, dessen Blätter das Wasser von den Wurzeln ansaugen.«
»Dann ist die Matte quasi ein flacher Baum?«
Sie schaute ihn mit gehobenen Augenbrauen an. »Das ist eine interessante Betrachtungsweise. Die Kanäle sind irgendwie verstärkt.
Sie erinnern mich an Xylem-Röhren …« Sie verstummte, als sie seinen leicht gequälten Blick sah.
»Bin Ingenieur.«
»Na gut. Grundkurs Botanik. Ein Baum wird von vielen dünnen Röhren durchzogen – dem Xylem –, die Wasser zum Wipfel transportieren. Bei den Mammutbäumen sind das weit über hundert Meter. Die Xylem-Röhren sind tot, so daß das Wasser nicht hinaufgepumpt, sondern hinaufgesaugt wird – ein passiver Vorgang. Die Biologie bedient sich der Physik. Hier würde es auf die gleiche Art funktionieren, nur daß bei 0,38 Ge ein Mars-Baum geradezu in den Himmel wachsen würde.«
»Und wie groß ist die Matte?«
»Weiß nicht. Wir waren fast einen Kilometer tief, und die Strukturen wurden immer größer. Das Matten-Material zog sich bis auf ein paar Dutzend Meter zum Eingang der Fumarole hinauf. Sie muß sich also ein paar hundert Meter hinabziehen. Mindestens.«
»Das ist ziemlich viel, selbst für den Mars.«
»Nun, ich arbeite hier nur mit Schätzungen. Zumal ich nicht genau weiß, wie der Wassertransport funktioniert. Es gab zum Beispiel röhrenartige Strukturen mit vertikaler und horizontaler Ausrichtung, die an ein Kreislauf-System erinnerten. Vielleicht verliefen im Innern Wasserkanäle. Und …«
Die Glocke rief zum Abendessen.
Sie verstummte. Plötzlich war der Eifer verflogen. »Hab ich vielleicht einen Hunger.«
Viktor lachte. »Pavlov hatte doch recht. Kaum bimmelt die Futterglocke, und schon bekommt man Hunger.«
Sie sog den Duft ein. »Mmmm, es gibt Gulasch. Marc hat stundenlang Gemüse geerntet. Gehen wir.«
Die Frage, wie sein Tag im ERV gewesen war, hatte sich für sie erledigt.
Kapitel 22
21. Januar 2018
Die Mahlzeiten wurden nach einem Tag im ›Außendienst‹ regelrecht zelebriert. Marc hatte ein delikates Fleischgericht mit Gewächshauserzeugnissen kreiert, eine Variante seines Mars-Gulaschs, das inzwischen Berühmtheit erlangt hatte. Das Originalrezept war auf beiden Planeten ein großer Erfolg geworden. Millionen Menschen goutierten es regelmäßig und verlangten nach einem Nachschlag. Das Kochbuch ›Rezepte vom Mars‹, das die Besatzung daraufhin herausgegeben hatte, fand reißenden Absatz. Es war Teil des Mars-Fiebers, das die Erde seit dem Beginn der Mission gepackt hatte. Der Witz dabei war, daß die meisten Rezepte von den Müttern der Besatzungsmitglieder stammten und
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