Das Rennen zum Mars
in der Solitaire-Anordnung auf dem Tisch lagen. Er wühlte in den Karten, zog das Pik-As hervor und hielt es hoch. »Das ist der kurze Strohhalm. Ich lege ihn zurück«, sagte er. »Dann mische ich die Karten. Die Person, die zieht, hebt ab und nimmt eine Karte. Die gezogenen Karten kommen nicht wieder auf den Stapel. Nach jeder Ziehung werden die Karten neu gemischt. Bis jemand das As gezogen hat.«
»Klingt gut«, sagte Raoul.
»Finde ich auch«, pflichtete Marc ihm bei.
»Julia?« Viktor schaute sie an. »Alle müssen zustimmen.«
»Das ist doch verrückt. Es ist wie in einem schlechten Film.«
»Julia braucht überhaupt nicht teilzunehmen. Sie hat den Platz doch schon abgelehnt«, sagte Raoul. »Dann steigen nämlich meine Chancen.«
»Alle machen mit oder gar keiner. Wenn alle gleich sind, müssen auch alle die gleiche Chance haben«, sagte Viktor.
»Was ist nun, Julia?«, fragte Marc.
Verdammt. Was erwartet Viktor von mir? Soll ich mich raushalten oder mitmachen? Ich werde einfach nicht schlau aus ihm. Es ist, als ob wir Poker spielten – ich weiß nie, wann er blufft. Andererseits war es sein Vorschlag. »In Ordnung«, sagte sie zögerlich.
Demonstrativ zeigte Viktor allen Beteiligten das As, schob es in den Kartenstapel, mischte und legte die Karten vor Raoul auf den Tisch. »Abheben und ziehen.«
Wider Willen war Julia fasziniert.
»Karo Sieben«, sagte Raoul. »Scheißkarte.«
»Alle Karten haben den gleichen Wert, außer einer.« Viktor mischte und reichte die Karten an Marc weiter. »Du bist dran. Abheben und ziehen.«
»Kreuz-Bube. Nicht gut.«
Nun war Julia an der Reihe. Omeingott, sie meinen es ernst. Wir ziehen diese verrückte Nummer wirklich ab. Es kam ihr irgendwie irreal vor, als sie die Karten abhob und die gezogene Karte langsam umdrehte. Es war ein schwarzes As. Ihr Herz machte einen Satz. Nein. »Kreuz-As«, hörte sie sich sagen. Sie legte es zu den anderen abgelegten Karten und sank auf dem Stuhl zusammen.
Viktor zog die Pik-Vier.
Sie spielten, als ob nichts anderes auf der Welt mehr von Belang wäre.
Nach zwei Runden ertönte das Klingeln des Interkoms.
Julia wollte drangehen.
»Vergiß es«, knurrte Raoul. »Es sind wahrscheinlich die Schnüffler, die wissen wollen, wieso wir die Videokamera ausgeschaltet haben.«
Sie zuckte die Achseln und nahm wieder Platz. Sie war ohnehin wieder an der Reihe. Die Erde konnte warten.
Der Stapel mit den aussortierten Karten wurde immer höher.
Drei Runden. Nichts. Mit jeder Niete stieß Raoul einen wüsteren Fluch aus.
Vier.
Fünf.
»Das beschissene Ding ist überhaupt nicht dabei«, sagte Marc kaum hörbar.
Julia wußte nicht, wo das noch hinführen sollte. Die Anspannung hatte sie ausgelaugt. Sie riß sich vom Anblick der Karten los und schaute in die Runde. Wer waren diese beiden verrückten, derangierten Männer überhaupt?
Sie kamen ihr plötzlich wie Fremde vor.
Viktor wirkte zum Zerreißen angespannt. Er hob die Karten ab und drehte die Karte um. Starrte sie für eine Weile an, schloß dann die Augen und seufzte erleichtert. »As. Pik-As«, sagte er langsam und drehte die Karte so, daß alle sie sahen.
Kapitel 32
29. Januar 2018
Anschließend saßen sie noch für eine Weile beisammen und versuchten, sich über die Weiterungen klarzuwerden. Raoul schaute mit gerunzelter Stirn in seine Plastiktasse und rieb sie geistesabwesend. Julia fragte sich, wie er es überhaupt geschafft hatte, mehr als zwei Jahre ohne seine Familie zu überleben.
»Dann hast du also gewonnen, Viktor«, sagte Marc mit tonloser Stimme. »Du wirst vor mir die Funktionsweise einer nuklearen Rakete kennenlernen. Das nenne ich Ironie des Schicksals.« Er stieß ein kurzes bellendes Lachen aus.
»Ich werde Julia nicht hier zurücklassen. Aber ich kann nach Gutdünken mit dem Platz verfahren.«
Raoul seufzte. »Ja, so ist es.« Er warf einen Blick auf Marc. »Zeit, um uns auf die Socken zu machen. Bist du fertig?«
Julia hob die Augenbrauen. »Wohin geht ihr denn?«
»Wir ziehen ins ERV um«, sagte Raoul.
»Wieso?« Julia war perplex. Das hatte sie freilich nicht vorhergesehen.
»Axelrods Anweisung befolgen und den Brennstoff bewachen«, sagte Raoul.
Julias Hoffnung auf eine Normalisierung der Verhältnisse verflog.
»Ich halte das nicht für notwendig«, sagte Viktor. »Der Boss entwirft am laufenden Band Katastrophenszenarios. Hat wohl zu viele Science Fiction-Filme geguckt.«
»Nun, wir werden aber nicht untätig hier rumsitzen und warten,
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