Das Rennen zum Mars
Habitat mußte verkleinert, umgeändert und vereinfacht werden – schließlich unterlagen sie nicht mehr der lächerlichen Null-Ge-Doktrin, die von der Küche bis zur Toilette alles komplizierte. Der Flug mit 0,38 Ge machte das Leben einfacher, doch viele NASA-Konzeptionen, die für die Raumstation entwickelt worden waren, mußten über Bord geworfen werden. Verbindungen, Elektronik, Systemintegration – alles mußte unter einem ganz neuen Blickwinkel angegangen werden, um die knappe Frist einzuhalten.
Die Luft- und Raumfahrtindustrie hatte ihr Gerät seit jeher an technischen Einöd-Standorten produziert, wo die Ingenieure durch nichts abgelenkt wurden: China Lake, Rockman, Palmdale, White Sands und andere gottverlassene Winkel. Deshalb hatten Axelrods Teams an diesen Orten Produktionsstätten gekauft und Arbeitskräfte angeworben, und die Metalle und Verbundwerkstoffe gediehen prächtig in der Abgeschiedenheit.
* * *
Die Besatzungen für die Raumstation wurden normalerweise zehn bis zwölf Monate vor dem Start zusammengestellt. Das ging in Ordnung, falls die Ausrüstung zu diesem Zeitpunkt auch schon bereit war. In diesem Fall war sie es nicht. Das warf weitere Probleme auf.
Das Konsortium mußte Entwicklung und Ausbildung enorm straffen – eine Maßnahme, die seit den Tagen von Apollo nicht mehr nötig gewesen war.
Zuerst kam das Einzelsystem-Training. Das bedeutete, daß die Leute, die die Nutzlast- und Landesysteme bauten, für mehrere Wochen gleichzeitig die Astronauten ausbildeten. Die Leute malochten wie die Brunnenputzer.
Die Hektik hätte geradezu einen komödiantischen Effekt gehabt, wenn dabei nicht auch Menschenleben auf dem Spiel gestanden hätten.
Anschließend kamen die Missions-Simulationen, die sie zu viert im Modell des Habitat-Cockpits durchführten. Hier arbeiteten sie alles ab, was schiefgehen konnte, und die paar Dinge, die vielleicht klappten – es war ein endloser Drill.
Erschwerend kam hinzu, daß dies die erste Kombination aus Habitat und Cockpit überhaupt war. An die beiden Funktionen wurden nämlich diametral entgegengesetzte Anforderungen gestellt.
Habitate sollten komfortabel sein und ein großzügiges Raumgefühl vermitteln, Cockpits hingegen sollten funktional sein und möglichst wenig Raum einnehmen. Sie mußten das plumpe Labor fliegen und damit auf dem Mars landen, doch den Rückflug würden sie im ERV antreten, das schon auf sie wartete.
Der Habitat-Lander glich einer großen Thunfischdose aus Aluminium und Stahl mit einem Zentralzylinder, durch den sie zur Luftschleuse an der Grundfläche gelangten. Oben befanden sich die Unterkünfte, unten die Ausrüstung für die Erforschung des Mars und das Cockpit. Es gab keine Fenster, auch nicht in Flugrichtung, so daß sie nicht sahen, wie das Schiff mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde in die Mars-Atmosphäre eintauchte. Viktor würde das Gerät ausschließlich im Instrumentenflug fliegen müssen. Zumal freie Sicht ihm ohnehin nichts geholfen hätte, weil es bei der Luftbremsung einzig und allein auf die Kontrolle der Strömungsgeschwindigkeit und Wärmeentwicklung ankam.
Vier Monate vor dem nominellen Starttermin begannen die integrierten Simulationen. Dieser Vorstellung wohnten alle bei: Operationsleitung, Flugleiter, Habitat-Kontrolle, Techniker – insgesamt achtundsechzig Personen.
In gewisser Weise war die Vollsystem-Übung ein Spiel. Die Besatzung war bestrebt, Fehler zu vermeiden, während der Flugleiter versuchte, sie in heikle Situationen zu bringen.
Der Flugdirektor, der dauergrinsende Brad Fowler, hatte vor drei Jahren seinen Abschied von der NASA genommen und sich mit einer Beratungsagentur selbständig gemacht, weil das viel lukrativer war. Axelrod hatte dem Vernehmen nach sein Honorar überboten und noch etwas draufgelegt. Brad freute sich über die Gelegenheit, wieder ein richtiges Forschungsprogramm zu leiten, doch versuchte er, sich das nicht anmerken zu lassen.
»Muß zugeben«, sagte Viktor, »daß das System-Personal das beste ist, das man für Geld kaufen kann.«
»Sie sind überhaupt die besten«, erwiderte Julia. »Die Hälfte der Leute hat bei der NASA gekündigt, nur um für uns zu arbeiten.«
Die anderen stammten von Privatunternehmen, bei denen es sich aber auch um Ableger der NASA handelte. Es war ein offenes Geheimnis, daß, nachdem die NASA den Flug zum Mars gestrichen hatte, die Moral der gesamten Organisation in eine Krise geraten war, von der sie sich
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