Das Riff der roten Haie
großen Spiegeltüren. Prüfend sah er über die Regale und hatte schließlich gefunden, was er suchte: Tamas roten Waschbeutel.
Er zog den Reißverschluß auf und holte mit spitzen Fingern eine kleine ovale Seifenschale heraus. Sie war aus Plastik und blau gefärbt. In der Mitte stand in schwungvollen, eleganten kleinen Goldbuchstaben: ›Beach Comber Hotel Papeete. Mit freundlichen Grüßen an unsere Gäste‹.
Ron öffnete den Deckel.
Und da lagen sie nun, die Perlen, dunkel schimmernd, klein, rund die meisten. Ihr Grau reichte in alle Schattierungen, bei manchen vertiefte es sich bis ins Schwarze, andere schienen wie von innen von einem goldenen Schein erhellt zu sein.
Es waren sieben, nein, acht Stück, und es waren die letzten Exemplare, die er besaß. Der schäbige Rest der reichen Beute, die sie damals, vor zwei Jahren, der Bucht entrissen hatten – ehe die Haie gekommen waren.
Er nahm alle acht in die Hand und ließ sie hin und her rollen. Seine Fingerspitzen tasteten über ihre Oberflächen. Manche waren perfekt gerundet, aber zu klein, bei den anderen wiederum war die Form zu unregelmäßig. Die Perlen waren Ausschuß. Er hatte sie in seinem Hotelzimmer wegsortiert, ehe Charles Boucher aufgetaucht war. Er kannte doch seine Sprüche: »Ich habe es nun mal mit der Perfektion, Ron. Ich liebe die Makellosigkeit. Nicht nur bei den Frauen, auch bei Perlen.«
Die kleinen Kugeln rollten. Plötzlich empfand er ihre Perlmuttkühle wie einen körperlichen Schmerz.
Er ging hinüber zum Bullauge und öffnete den Verschluß. Dann schob er den Arm ins Freie. Adieu, Charles, dachte er, tut mir leid, aber nicht mal diesen Ausschuß werd' ich dir noch liefern. Kommt mich zu teuer, die Ware. Zuviel Blut klebt da dran.
Und dann dachte er wieder an das, was Nomuka'ta gesagt hatte. Wieso bekam er diesen Satz nie los: ›Du hast es so gewollt‹?
Dieser ewige, idiotische Spruch. Wann würde er ihn vergessen?
Er drehte die Hand im Gelenk und ließ die acht Perlen ins Wasser fallen. Sie verursachten nicht einmal Ringe.
Drüben, verschwommen hinter den Feuchtigkeitsnebeln, stand dunkel und schwarz der Berg. Ron Edwards hatte das Gefühl, als seien Augen auf ihn gerichtet. Er spürte ihren Blick wie zwei glühende Gewichte, die sich in seine Stirn drückten.
Er schloß das Bullauge, ging hastig zum Cockpit hoch, drückte die Winschtaste, um den Anker hochzuholen.
Der Motor begann seine Arbeit, die Kette rasselte, und Ron wartete nicht, bis der Anker seinen Platz am Schiff erreicht hatte. Er ließ die Motoren anspringen.
Rückwärts, langsam, ganz langsam schob sich die ›Paradies‹ aus der Bucht …
***
Er wußte nicht, was es war: Das Schiff rollte, es rollte in der Dünung, die sich nicht sonderlich verstärkt hatte. Die See lag noch immer grau, als sei sie mit einer feinen Ölschicht bedeckt, wie mit einer zweiten Haut, die gar nicht zu ihr gehörte. Die Luft schien ihm drückend, wie von etwas Unsichtbarem beschwert, einer Spannung, die von dem elektrischen Knistern in seinen Schläfen noch gesteigert wurde. Aber der Himmel war wie zuvor. Keine Wolkenformationen, nichts, das darauf hindeutete, woher ein Wetter kommen könnte – wenn es denn kommen wollte. Es gab gar keinen Himmel, es gab nichts als ein mattes, stumpfes, an manchen Stellen silberglänzendes Grau. Und das Gefühl in ihm, daß sich dahinter etwas Uraltes, Bedrückendes, Böses verbarg, das darauf lauerte, zuzuschlagen, wuchs …
Die ›Paradies‹ lief mit halber Fahrt. Ron stand am Steuer und ließ die Küste vorübergleiten.
Er griff wieder zu einer Zigarette: Gut, die Begegnung mit dem Hai war ein Schock, und mit den Nerven scheinst du auch ziemlich runter, Junge. Aber was soll's eigentlich? Himmelherrgott noch mal, Tauchen wirst du dort nie wieder, also vergiß es! Du hast genau das erlebt, was du doch im Grunde wolltest. Was also soll's!
Als er in die Lagune einfuhr, lag der Strand leer und verlassen und mit Grau vollgesogen. Kein Mensch war zu sehen.
Die Steven der Kanus erhoben sich dunkel und scharf zwischen den Palmstämmen.
Er ließ den Anker fallen und wartete.
Wieso stieg er nicht ins Beiboot. Wieso hockte er eigentlich noch immer rauchend im Salon herum? Und woher kam dieses Unbehagen, wenn er an Tama dachte?
»Geh nicht weiter, Ovaku. Geh nicht zur Bucht! Du weißt doch …«
Zum Teufel noch mal, ja, und ob er wußte! Und er war nicht ›zur Bucht gegangen‹, er war darin herumgeschwommen. Er hatte auf den alten Nomuka'ta
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