Das Riff der roten Haie
und seine Geister gepfiffen, er hatte das Tabu gebrochen, und es wäre beinahe schiefgegangen. Aber eben nur beinahe, denn er konnte noch immer in seinem Salon sitzen, rauchen, sich nochmals den Courvoisier holen, falls er das nur wollte. Er konnte sich freuen, daß er heil und am Leben war.
Nur eines konnte, nein wollte er nicht: sich mit Tama auseinandersetzen – oder mit irgendeinem der anderen dort drüben. Er wollte nicht erklären, was er in der Bucht zu suchen gehabt hatte.
Ron nahm die dritte Zigarette aus der Packung und war eben dabei, sich tatsächlich wieder die Flasche zu holen, als sich das Licht, das durch die breite Salontür fiel, verdunkelte: Tama …
Das Haar klebte an ihrem Kopf, und durch das Glas erschienen ihre Augen riesig und verwischt. Er sah, daß sie nackt war, nackt bis auf eines der kleinen grünen Bikinihöschen, die sie aus Papeete mitgebracht hatten und die nun auf Tonu'Ata den Hit der Saison darstellten.
Er schob die Tür zurück.
Weißes Zähneschimmern zwischen den vollen roten Lippen, die ihn immer und immer wieder an Hibiskus erinnerten. Selbst jetzt. Sie lachte, nein, sie lächelte, und das war schon mal gut.
»Ovaku. Ich hab' dich überall gesucht.«
Sie betrat den Salon. Sie schüttelte den Kopf, das Haar, und die Tropfen flogen über die elegante Lederbespannung. Tropfen, nein, Wasser rann zwischen ihren Brüsten hinunter, auf ihren muskulösen Schwimmerinnenbauch, rann über die Schenkel, bildete dunkle Flecken auf dem genoppten Boden.
Und er, er sah sie an, als sehe er sie zum ersten Mal …
Sie lachte noch immer.
»Wo warst du, Ovaku? Was ist? Was machst du für ein Gesicht?«
»Gefällt es dir nicht? Tut mir leid …«
Er streckte den Arm aus, er wollte jetzt ihren Kopf, all dieses schwarze, nasse Haar spüren – aber er ließ den Arm wieder sinken.
»Komm, Tama, frag mich nicht. Du weißt genau, wo ich war. Das haben dir die anderen gesagt.«
»Mir hat Afa'Tolou nur gesagt, daß du mit der ›Paradies‹ losgefahren bist.«
»Natürlich. Und dann hat er einen der Jungen losgehetzt, und der brauchte nur bis zum Kap laufen und wußte schon Bescheid.«
»So? Wo warst du, Ovaku?«
»In der Bucht.«
Sie lächelte immer noch, sie brachte es fertig, mit diesen großen, dunklen, jäh starr werdenden Augen zu lächeln.
»Ich hab' es nicht gewußt, Ovaku. Und da war kein Junge, der dich beobachtet hat. Aber ich habe es mir gedacht – nein, ich habe es geahnt, ich habe es vor mir gesehen.« Sie ließ ihn stehen, wo er war und ging hinüber ins Bad, kam mit einem Handtuch zurück und begann sich abzutrocknen: »Ja, ich sah es vor mir … Und dann?« Ihr Gesicht war von der Mähne schwarznassen Haares verborgen. »Was dann? Du bist in die Bucht eingefahren. – Und?«
»Ich bin getaucht.«
»Du bist getaucht?« Ihre Stimme hatte sich um eine ganze Tonlage gesenkt. Und die Worte kamen sonderbar gleichförmig, wie von einem Tonband abgespult. Polynesische Worte. Viele polynesische Worte. Nun wieder englische: »Getaucht … Getaucht … Getaucht … Hast du denn alles vergessen? Und dann, Ovaku?«
Er gab keine Antwort. Vielleicht war es dieses sonderbare Knistern, vielleicht dieser ganz verfluchte Tag, er spürte die Schwäche von zuvor wieder zurückkriechen, spürte, wie die Finger wieder zu zittern begannen, nicht nur die Finger, spürte, wie dieses Zittern seinen Rücken hochkroch und sich zwischen den Schulterblättern einnistete.
Er ging zur Bar. Es waren nur drei Schritte. Er riß die Tür auf und nahm die Flasche heraus, setzte sie an den Mund, hielt sie Tama hin. Doch sie schüttelte nur den Kopf.
»Und, Ovaku?« Sie ließ nicht locker. Er schwieg. »Da war ein Hai«, sagte sie. »Ein großer, ein sehr großer weißer Hai.« Er schwieg.
»So war es doch, Ovaku?«
Er starrte sie an. Woher hatte sie das? Wie kam sie darauf? Wie konnte sie es wissen?
»Ein großer weißer Hai«, wiederholte sie. Ihre Augen waren ganz ruhig. Sie schien zu warten. Auf was? »Ja«, hörte er sich sagen. »Ja, Tama.«
»Siehst du!«
»Siehst du – was?« Fing sie auch noch an hellzusehen? Dies war alles zu verrückt. Und dennoch, nie zuvor hatte er eine solche Sehnsucht nach ihr gespürt, nie war es wichtiger gewesen, sie zu berühren, sie zu besitzen.
Ein Streifen Licht erhellte ihre Stirn, aus dem Schatten des Körpers leuchtete eine runde, vollgeformte Schulter. Licht lag auf ihrem Arm. Er konnte erkennen, daß die Haut der Arme unter seinem Blick eine Gänsehaut
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