Das Riff der roten Haie
Zentimeter hoch vom Boden, wirst du frech.«
»Das hab' ich schon mal gehört. Tama hat das auch behauptet.«
»Na also!« Gilbert streichelte die Bettdecke und erhob sich. »Die kennt dich schließlich besser als ich.« Dann ging er hinaus …
Am nächsten Morgen kamen die Schmerzen wieder, aber es waren andere, nicht dieses dumpfe Gefühl, das sich von den Fingerspitzen über die Schulter durch seinen ganzen Körper ausbreitete, sie waren lokalisiert und leicht zu ertragen. Sein Kopf jedenfalls blieb frei.
Patrick Lanson kam beinahe jeden Tag vorbei und brachte ihm Zeitungen. Ron blätterte sie ohne viel Interesse durch, nahm zur Kenntnis, daß Jelzin um seinen Präsidenten-Posten kämpfen mußte und daß die Nato jetzt Flugzeuge in Serbien einsetzte, blätterte weiter, kämpfte sich durch den ganzen Horror der Tagesnachrichten, vergaß darüber sein eigenes Problem und sagte sich, daß er nicht nur ein verdammtes Schwein gehabt hatte, sondern im Grunde sich fühlen konnte wie ein König, nein – wie Ron Edwards!
Und als Ron Edwards machte er sich daran, Pläne zu schmieden. Und die Dinge in die Hand zu nehmen. »Wann fährst du, Gilbert?«
»Na, du bist gut. Willst du mich so schnell loswerden?«
»Nein. Aber ich will Tama hier haben.«
»Hör mal, Junge, irgendwann müßte dir vielleicht jemand beibringen, daß du nicht der Nabel der Welt bist. Und daß die nicht nur um dein Mädchen kreist. Natürlich muß ich zurück. Aber nicht nur, weil du Händchen halten willst, sondern weil ich bei Gott keine Lust habe, weiterhin hier rumzuhängen und zuzusehen, wie mein Geschäft ruiniert wird. Ich muß die ›Ecole‹ flottmachen.«
»Aber sicher. – Hast du bei Burn eine Motorendichtung gefunden?«
»Hab' ich. Zwar nicht genau dasselbe Modell, aber man kann das zurechtschneiden.«
»Verdammt schade, daß ich dir nicht helfen kann …« Ron wollte gerade erklären, wo Gilbert in seiner Werkstatt das passende Werkzeug finden konnte, um die Dichtung und den Diesel der ›Ecole‹ zu reparieren, als die Tür aufging.
Ulla! Und sie machte ein bedeutsam-grimmiges Gesicht.
»Ron, da ist ein Herr von der Polizei. Ein Inspektor aus Nukualofa.«
»Merde.« Gilbert zog die Brauen zusammen.
Er hatte recht. Ron überlegte blitzschnell. »Wo ist der Mann?«
»Im Wartezimmer …«
»Sag ihm, Ulla, ich hätte Verbandswechsel und wäre in fünf Minuten bereit, mit ihm zu reden.«
Sie nickte und verschwand.
Sie sahen sich an. »Paß auf, Gilbert. Du verschwindest. Du nimmst die Tür dort. – Und du verschwindest so, daß er dich nicht sieht.«
Gilbert nickte dankbar. »Das geht. Die Teeküche hat eine zweite Tür, und die führt hinaus auf den Hof. Und von da gibt's 'ne Tür, die führt direkt raus in den Garten.«
»Dann geh mal da hin, Alter.« Ron grinste beruhigend. Es war das erste Mal, daß er Gilbert Descartes nervös erlebte. »In den Garten.«
»Und was willst du dem Polizisten erzählen?«
»Na, was schon? Das, was wir besprochen haben. – Und von Tonu'Ata kein Wort …«
Es dauerte keine zwei Minuten, da klopfte es bereits an der Tür. Den Rahmen füllte ein Hüne in einem vanillegelben, zerknitterten Baumwollanzug. Er trug dazu ein weißblau gestreiftes Hemd und eine schwarze Krawatte, die er liebevoll glattstrich. Nun stand er im Zimmer, verschränkte die gewaltigen Hände vor der Brust und ließ die Fingergelenke knacken.
»Mister Edwards? – Mister Edwards, mein Name ist Joseph Tagalo. Ich bin Inspektor der Staatspolizei von Tongatapu. Falls es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich einige Fragen an Sie richten. Sie wissen ja, um was es sich handelt.«
»Um was denn?«
»Oh? Um was wohl?« Er lächelte weiter, es war die Sorte Lächeln, die Polizisten wohl auf ihren Polizeiakademien beigebracht bekommen – falls es auf den Tongainseln so etwas wie eine Polizeiakademie überhaupt gab. Es war das Lächeln, das sagte: Wir wollen uns doch nichts vormachen, Junge!
»Nehmen Sie sich doch einen Stuhl, Mr. Tagalo.«
»Danke, Sir. Sehr freundlich. Wissen Sie, einmal saß ich lange genug im Flugzeug, und dann hatte ich noch die Konferenz mit den Kollegen hier – falls es Ihnen nichts ausmacht, bleibe ich ein bißchen stehen.« Seine Augen glänzten wie flüssige, dunkle Schokolade. Der Blick wanderte zwischen Rons Schulter und Arm hin und her. »Zwei Schüsse?«
»Und zwei Brüche.«
»Geht's einigermaßen?«
»Muß wohl. So genau wissen wir das noch nicht.«
»Wir?«
»Der Arzt und
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