Das Riff der roten Haie
Was ist mit dir? Alle fragen mich, wie's dir geht. Jetzt stehen sie draußen vor dem Fale und warten darauf, daß ich es ihnen sage.«
Er sah sie vor sich und konnte nichts gegen die Tränen, die in seine Augen schossen, tun. Er sah Tama am Tisch der Funkbude sitzen, die Hand um den Hörer gekrampft, sah ihr Gesicht, ihr schönes, ängstliches Gesicht …
»Man wird mich operieren, Tama. Jetzt habe ich noch Schmerzen, aber danach wird alles gut sein. Der Arzt ist ein Deutscher. Der schafft das schon … Hör mal, wenn ich zurückkomme, bin ich besser, als ich es je war!«
»Geht gar nicht, Ovaku.«
Er lachte trotz der Schmerzen.
»Und? Und wann kommst du zurück, Ovaku?«
Das war es. Drei, vier Wochen hatte Hendrik Merz gesagt. Mindestens. – Ron wagte nicht, es auszusprechen. Nicht jetzt … Außerdem: Er hatte nachgedacht und einen anderen Ausweg gefunden.
»Es wird noch etwas dauern.«
»Ist es so schlimm?«
»Natürlich nicht. Aber hör zu, Tama, ich habe mit Gilbert gesprochen. Wenn sie mich hierbehalten und es länger dauern sollte, dann fährt er los …«
Nach Tonu'Ata, hatte er sagen wollen, aber er unterdrückte den Namen. »Er muß nach seiner ›Ecole‹ sehen. Und nach der Ladung. Er will auch einige Ersatzteile mitnehmen. Wenn es ihm nicht allzu große Schwierigkeiten macht, den Motor zu reparieren, kann er dich mit der ›Ecole‹ nach Pangai bringen. Im anderen Fall fährt er mit der ›Paradies‹ zurück und bringt dich hierher.«
»Und dann kann ich dich sehen, Ovaku …«
»Nicht nur sehen, lieber Himmel!« Er lachte: »Was glaubst du, was du dann alles kannst …«
»Hör sich das einer an … Schon wieder frech, Ovaku? Sieht wirklich so aus, als würde es dir gutgehen.«
»Und ob!« versicherte er mit zusammengebissenen Zähnen …
***
Sie hatten die Operation auf zehn Uhr morgens angesetzt.
Bereits eine halbe Stunde zuvor war die dicke Ulla erschienen und hatte ihm eine Spritze verabreicht, und fast gleichzeitig mit ihr erschien auch Gilbert Descartes, tätschelte an ihm herum, setzte zu einem langen Sermon an, der dazu noch halb aus Witzen und Anekdoten aus seiner Vergangenheit bestand und den Ron nur zur Hälfte mitbekam, weil die Spritze ihn benommen machte.
Dann erschienen die Pfleger mit der Rollbahre, schoben ihn einen langen Gang entlang, klappten eine Schwingtür auf, schoben ihn hindurch, und Ron tauchte ein in die kühle, lichtdurchflossene Stille eines Operationssaals, in dessen glänzenden gekachelten Wänden ihn drei vermummte Gestalten erwarteten.
Eine dieser Gestalten kam lautlos auf ihn zu, beugte sich über ihn, und in dem Streifen Gesicht, den die Maske freigab, konnte er die ruhigen, warmen Augen Hendrik Merz' erkennen.
»Wie ist das, Hendrik?« flüsterte er. »Muß ich jetzt die Daumen halten oder beten oder was?«
»Beten kommt später, das weißt du ja. Jetzt mußt du nur einfach an was Schönes denken …«
Also dachte er an Tama. Aber das gelang ihm nicht so recht: So schloß er die Augen, und ein zweites Bild schob sich vor Tama, das Fale und das Riff von Tonu'Ata: Es war das Gesicht seiner Mutter, und es war ganz nah, und es lächelte, und er lag wieder auf einer Trage. Es war damals, als sie ihn nach dem Motorradunfall ins Kreiskrankenhaus brachten. Er hörte ihre Stimme sagen: »Mach dir keine Sorgen, Junge, das wird schon gut …«
Würde es auch. – Mußte es!
Die neue Spritze spürte er nicht. Er hörte nur Hendrik Merz' Stimme, die sagte: »Ron, fang mal an zu zählen.«
Ron? dachte er. Wieso Ron? Und zählte. Er kam bis drei …
Als er erwachte, war es fast dunkel. Die Vorhänge waren zugezogen und bewegten sich leicht im Wind, der von der See kam. Er konnte sogar das Rauschen hören. Das Rauschen war wie die Stimme eines alten Freundes, und er nahm es dankbar auf.
»Bonjour!« Gilberts breites Gesicht verzog sich zu einem freundlichen Grinsen. Dann erzählte er ihm, daß die Operation vier Stunden gedauert und daß er weitere drei Stunden gepennt habe und daß alles, wenigstens nach Auskunft Hendriks und des übrigen Klinikpersonals glatt verlaufen sei.
Glatt verlaufen? – Ron tastete unwillkürlich nach seinem Arm und fühlte die frische Spannung eines neuen Verbandes.
»Und jetzt …«, flüsterte er.
»Na, und jetzt schläfst du weiter. – Schmerzen?«
Ron schüttelte den Kopf. »Nein. Durst. Hol uns ein Bier.«
»Von wegen«, sagte Descartes grimmig. »Mit dir hat man immer denselben Ärger. Kaum kommst du drei
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