Das Riff der roten Haie
Weg dorthin krochen die Schmerzen zurück.
Ron biß die Zähne zusammen.
Die Verletzten, eine ältere Frau, ein junger Mann und ein elfjähriges Mädchen, hatte man in die mittlere der großen Langdachhütten gelegt. Die Frau hatte Fieber. Und als Tama nun mit ihr zu flüstern begann und sie daraufhin kopfschüttelnd wieder aufstand, erfuhren sie auch den Grund: Sie hatte die Antibiotika, die Tama bei ihr gelassen hatte, nicht genommen.
Sie gingen hinaus, während Hendrik die Wunden untersuchte. Schließlich tauchte er wieder auf. Sein Gesicht wirkte entspannter als zuvor.
»Nicht so schlimm. Alles Fleischwunden. Den Jungen hat's am Hintern erwischt. Tut zwar weh, aber ich kann die Wunde drainieren. Die alte Frau hat einen Streifschuß an der Hüfte, das Mädchen eine Verletzung am Oberschenkel, auch nicht weiter gefährlich. Wichtige Organe oder Knochen jedenfalls hat's bei ihnen nicht erwischt. Sie hatten wirklich Glück.«
Sie – ja.
Doch die anderen …
Hier war Ron keine große Hilfe. Außerdem hatte er sich noch etwas in den Kopf gesetzt. Und das wollte er hinter sich bringen.
Er ließ Gilbert und Tama bei Hendrik, damit sie ihm assistieren konnten, und machte sich auf den Rückweg zu Tápanas Fale.
Der große alte Mann saß allein auf der Treppe seines Hauses und schaute zwei kleinen Hunden zu, die sich im Sand balgten. Ron setzte sich neben ihn. »Tut das weh?« Tápana blickte auf Rons Schiene. »Ja, nun … Manchmal schon. Vor allem nachts.« Schmerzen sind für einen alter Krieger kein Diskussionsstoff, und so schwiegen sie eine Weile gemeinsam voreinander hin.
Dann begann Tápana zu reden. Zu Rons Erleichterung führte er das Gespräch dorthin, wo er es haben wollte.
»Dein Freund, der Heiler – wird er Laha und den Kindern helfen?«
»Ich hoffe es.«
Er spürte Tápanas fragenden Blick und sah weiter starr geradeaus.
»Was heißt das?« sagte der Häuptling schließlich.
»Daß es nicht sicher ist, Tápana. Sie haben schwere, schwere Wunden.« Dies war eine elende Lüge, aber in diesem Fall würde der Zweck wohl die Mittel heiligen. »Vor allem die alte Frau. Sie hat das Fieber.«
»Laha?« Tápana machte ein bekümmertes Gesicht. »Als Mädchen war sie wunderschön. Und wir haben uns gut gekannt.«
Sieh an! dachte Ron. Na, dann um so besser!
»Er wird sie retten?«
»Er kann sie retten, Tápana. Aber dazu braucht er Mittel und teure Geräte … Auch ich brauche sie, wenn ich meinen Arm nicht am Ende doch noch verlieren will.«
»Wirklich?«
»Ja, Tápana.«
»Und er hat diese Geräte nicht?«
»Sie kosten viele, viele Dollars. Man kann sie kaufen. In Pangai gibt es einen anderen Heiler, der sie hat und sie verkaufen will.«
»Und du hast kein Geld? Keine Dollars? – Vielleicht hat Schibe welche?«
»Selbst Schibe hat nicht so viel Geld.«
Die Hunde hatten sich verzogen, das Dorf lag still, und den Himmel über den Palmen überzog ein zartes, durchsichtiges, goldenes Grün.
»Er ist ein guter Medizinmann«, begann Tápana schließlich. »Ich fühle das. Er wird sie heilen.«
»Ich weiß nicht …«
»Aber ich weiß. Ich weiß es sogar ganz genau. Viel besser als du. Nomuka'ta hat es mir gesagt.«
Ron zuckte zusammen. Auch das noch! Fing es wieder an? Nomuka'ta – dieses ›ich weiß es …‹
Hatte er nicht vor wenigen Tagen mit Tama ein ähnlich sonderbares Gespräch geführt?
»Und er hat mir noch etwas gesagt, Ovaku«, fuhr der Häuptling fort.
»Ja?«
»Er hat mich gewarnt, so wie damals. Er hat mir gesagt, daß du einen Plan hast.«
Ron drehte sich ihm zu: »Ja, Tápana. Ich habe einen Plan. Dieser Plan ist die einzige Möglichkeit, daß der Heiler bei uns bleibt und arbeiten kann.«
Das Weiß der Augen Tápanas war mit roten Äderchen gesprenkelt, und das Dunkel der Iris und der Pupillen wirkte groß, tief und still.
»Es sind die Perlen«, sagte er nach einer langen Pause. »Nicht wahr, Ovaku? Du willst wieder die Perlen.«
Rons Herz schlug schneller. – Keine Überraschung zeigen! Wieder einmal durchzog ihn dieses unfaßbare, unheimliche Gefühl, ein anderer höre zu, ein anderer führe das Gespräch, flüstere Tápana die Worte ein, die er benutzen sollte, ja, führe ihre Handlungen, ihr Leben, so wie der Puppenspieler seine Marionetten.
»Ja«, sagte Ron. »Das will ich. Es gibt keinen anderen Weg.«
»Die Haie sind noch immer da, Ovaku. Und es sind mehr als je zuvor.«
»Sie werden uns nichts antun können.«
»Uns?«
»Der Heiler will mir
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